Wo Sinn war, soll Un-Sinn werden

■ Ernst Jandl in der Schauburg: Gegen die Schwerkraft des starren Sinns

verwandte

der vater der wiener gruppe ist h.c.artmann

die mutter der wiener gruppe ist gerhard rühm

die kinder der wiener gruppe sind zahllos

ich bin der onkel

ernst jandl

Sein Name klingt, als hätte er ihn für sich erfunden: Ernst Jandl, der Wiener Schriftsteller, der mit dem Werkzeug Sprache so lange Ernst macht, bis sie Hanswurst- Purzelbäume schlägt. Das Umkehren und Neudefinieren von Bedeutung, bis sich das Neue verblüffend komisch präsentiert - das ist eine harte Arbeit gegen die Schwerkraft des überkommenen Sinns: Wo Sinn war, soll Un-Sinn werden, damit der Un-Sinn Sinn wird.

Ernst Jandl, der strenge Sprach-Hanswurst, ist mittlerweile fünfundsechzig und sitzt auf der Bühne wie ein melancholischer, unnahbarer Mann im Amt. Der Kopf, in dem die Sprache so um und um gedreht, gemeißelt und gefeilt wird, ist kantig, die Brille wie ein Schutzschild groß. Der Mund, aus dem die Kopfarbeit hinausgelassen wird, damit sie Rhythmus und Betonung

der jandl

auf stuhl

von hinten

werde — der Mund hat was vom Kind. Und ist nicht auch die Sprach-Arbeit von Jandl der Arbeit eines Kinds vergleichbar, das alles auseinandernimmt, um zu erkennen, wie Dinge funktionieren? Ja: Jandl fasziniert sein Publikum, weil er die Disziplin des erwachsenen Sprach-Arbeiters mit der durchtrieben gewordenen Neugier eines Kinds verbindet. Das arglose Kind bringt mit seiner Neugier und seinen Fragen die Großen mit ihrer Ordnung in Verlegenheit — der große Jandl bringt mit seiner Neugier und seinen Fragen an die Sprache den Sinn und seine Ordnung in Verlegenheit. Die Ordnung zerstören und sie dann neu zusammensetzen — das ist eine subversive Tätigkeit, die in vielen von Jandls Gedichten das Lächerliche der Ordnung zum Vorschein bringt: werch ein illtum, daß man lechts und rinks nicht velwechsern könnte. Oder:

the flag

a fleck

on the flag

let's putzen

a riss

in the flag

let's nähen

where's the nadel

now

that's getan

let's throw it

werfen

into a dreck

that's

a zweck

Und daß man bei Jandls Gedichten so häufig in Lachen explodieren muß, ist sicher auch ein Grund dafür, daß die Schauburg zum Bersten voll war. Doch allein die Lachlust kann nicht erklären, warum Jandl seit Jahrzehnten ein Publikum hat, das mit ihm älter wird und zugleich ständig jung bleibt — auch in der Schauburg waren auffällig viele ganz junge Hingerissene. Es muß an der subversiven Kraft des Künstlers Jandl liegen, die aus der so unmodern gewordenen Dicht-Kunst die Funken einer Waffe zu schlagen weiß: die Waffe des Lächerlichmachens von heiligem Ernst und starrer Ordnung in der Welt. Sybille Simon-Zülch