Der Frankenstein der digitalen Ära

■ Holger Czukay zeigte seine Videos und erzählte unserem Kritiker Geschichten

Er selber fand es auch “recht unverschämt“, seine Privatvideos auf einer Tournee in Konzertsälen vorzustellen, während selbst die Bravoleser bei Musikvideos nur noch müde abwinken. Aber wenn der kauzige Holger Czukay sich schon selber als “Frankenstein des digitalen Zeitalters“ vorstellt, wird klar, daß seine Produktionen nichts mit „Formel 1“ oder den „Eurotops“ gemeinsam haben. “Aber ich wollte natürlich gerne mal ins Fernsehen“ erzählt Czukay, “und weil ich alles andere als ein attraktiver Frontman bin, habe

der mann mit

bart

in der zeichnung

ich mir folgende Aufgabe gestellt: Wenn ich einen Song über vier Minute mit einer einzigen Einstellung rüberbringe, ohne daß es langweilig wird, dann brauche ich vorm Fernsehen keine Angst mehr zu haben.“ Nachdem er sich dafür„1000 mal vor die Kamera gestellt hatte“, war sein Erstlingswerk „Cool in the Pool“ in der Cassette, und diese Großaufnahme von Czukay wurde von einer kleinen Kultgemeinde von Brasilien bis Japan gefeiert. Der leidenschaftliche Tüftler Czukay bastelte von nun an die unterschiedlichsten Videos zusammen, alle mit “wenig Geld aber viel Zeit und Phantasie“. An einigen probierte er ein Jahr herum, andere passierten ihm einfach, wie etwa die Fernsehsendung von einem modernen Ballett, die er gerade sah, als er einen Song abmischte. Er stürzte nur zum Videorekorder, und “es paßte perfekt. Ich mag diese Zufälle, das nicht Ausgedachte, bei dem du selbst die Weichen stellst, aber dann nur Zuschauer bist. Wenn du den Fernseher ohne Ton laufen läßt, dabei Musik hörst und die beiden manchmal unglaublich gut zusammenlaufen, als hätte sie eine geheime Verbindung hergestellt. Czukay heißt auf polnisch Sucher, und ein Freund hat mir mal gesagt, ich solle nicht immer nur suchen, sondern auch mal was finden. Ich finde es viel interessanter, als all diese ausgedachten Konzepte für Musikvideos, wenn man Musik und Bilder, die sich eigentlich gar nicht kennen, miteinander bekanntmacht.“ So sehen die bekannten Bilder von der Mondlandung in dem Video „Träum mal wieder“ mit Czukays Musik gekoppelt plötzlich neu und geheimnisvoll aus. Und in einem maoistischen Propagandafilm fand Czukay die idealen Bilder für seine Vertonung der chinesischen Nationalhymne. “Die Chinesen hatten ja gesagt, ihr Lied 'Die Fäkaliensammler steigen den Berg herunter– sei viel schöner als der beste westliche Popsong. Da hab ich mir die Nationalhymne vorgenommen, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, und diese Peking Oper mit riesigen Aufmärschen und den plakativen Bewegungen, die die Chinesen draufhaben, konnte ich prächtig dazu einsynchronisieren.“

Die Videosammlung des „Privatphilharmonikers“ Czukay ist verblüffend vielseitig und kurzweilig. Altes Archivmaterial das „Can“ Zeiten und ein k“gut gelogener“ Auftritt der reformierten Gruppe, ein Zeichentrickvideo mit den Bildern von Czukays Frau, die immer wieder in seinen Kommentaren auftauchte und natürlich auch zwischen den Stuhlreihen ein Video vom Videoabend drehte. Seine im Januar erscheinende Platte „Radio Wave Surfer“ stellte er mit einer Videocollage vor. Fast genausoviel Spaß wie die Videos machten seine Geschichten, die er am Videoabspieler vor der Bühne erzählte. Ganz nebenbei, mit einem: “Ihr habt soviel Geld für die Eintrittskarten bezahlt, da geb ich euch noch'n Tip“ verriet er dann auch noch, wie man bei einer Polizeikontrolle beim Alkoholtest immer bei 0,0 Promille bleibt. Mit diesem Abend gelang dem alten Schlitzohr die Quadratur eines Kreises: Die Videoshow war auch eine witzig improvisierte Live- Performance. Willy Taub