»Mit uns wird es keinen Rückschritt geben«

■ SPD-Innensenator Erich Pätzold zur Innenpolitik unter einer großen Koalition/ Pätzold ist bereit aufzuhören/ Innenressort soll aber »auf jeden Fall« bei der SPD bleiben/ Auch nach dem Wahldesaster: Die Räumung der Mainzer Straße war richtig

Berlin. taz: Herr Pätzold, wie viele Tage werden Sie hier noch hinter Ihrem dunklen Schreibtisch am Fehrbelliner Platz sitzen?

Erich Pätzold: Möglicherweise bis zum 11. Januar und — je nachdem wie etwaige Koalitionsverhandlungen ausgehen — auch länger.

Sie haben vor der Wahl gesagt, daß Sie für eine große Koalition nicht zur Verfügung stehen werden.

Ich habe immer gesagt, ich kann mir eine große Koalition nur schwer vorstellen und es würde mir aufgrund meiner politischen Grundhaltung keine Freude bereiten, dann Innensenator zu sein. Aber nachdem ich am Wahlabend den Ruf der CDU nach dem Innenressort hörte, ist in mir zusätzlicher Kampfeswille erwacht. Ich halte es gerade in einer großen Koalition unter CDU-Führung für unverzichtbar, daß das Innenressort bei der SPD bleibt; wer es dann verwaltet, ist zweitrangig.

Ist bei der SPD für Sie schon ein Nachfolger in Sicht?

Sehe ich nicht.

Die Räumung der Mainzer Straße und der anschließende Koalitionsbruch sollen wesentlich zum herben Stimmenverlust Ihrer Partei und der AL beigetragen haben. Glauben Sie auch drei Tage nach der Wahl, daß die Räumung richtig und nötig war?

Die Mainzer Straße mußte nach den tagelangen, schrecklichen Ausbrüchen von Gewalt geräumt werden. Ich habe bei der damaligen Entscheidung nicht in Betracht gezogen, ob das für eine Wahl nützlich oder schädlich ist. Ich habe das getan, was von der Sache und vom Gesetz her geboten war. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die Räumung der SPD Abbruch getan hat. Was Abbruch getan hat, war die Reaktion der AL. Nachdem es sehr schwierig war, am Anfang der Koalition das Gewaltmonopol des Staates zu klären, glaube ich, daß es für beide Parteien hilfreich gewesen wäre, wenn die Alternative Liste an diesem Punkt zu dem Vereinbarten gestanden hätte. Die Tatsache, daß sie aus der Koalition ausgeschieden ist, wird natürlich das Gefühl bei den Wählern der SPD verstärkt haben, mit welch »unsicheren Kantonisten« sich die SPD eingelassen hätte und daß man eine solche Koalition nicht wieder wollte.

Teilen Sie die Auffassung von Herrn Momper, daß die rot-grüne Koalition für Jahre gestorben ist?

Bei dem Selbstverständnis entscheidender Teile der Wählerschaft — so sehr ich glaube, daß ordentliche Arbeit geleistet worden ist und der Reformansatz richtig war — ist eine rot-grüne Koalition nicht mehr möglich. Das sehe ich mit diesem Wahlergebnis zum Ausdruck gebracht. Wir alle müssen uns davon freimachen — bsonders die Alternativen —, daß man immer wisse, was das Richtige sei, nur die Bevölkerung komme nicht ganz mit. Man hat auch, ohne daß es Opportunismus wird, auf die Grundströmungen in der Bevölkerung zu achten.

Jetzt kommt die große Koalition. Gibt es Themen, bei denen die SPD keinen Millimeter zurückgehen wird — Busspuren oder Tempo 100 auf der Avus?

Ich bin weder befugt für die SPD im ganzen zu sprechen noch bin ich Verhandlungsführer. Ich kann nur meine persönliche Meinung sagen. Ich bin verwundert, daß die CDU sich über Busspuren und anderes in eine bestimmte Richtung festlegt, bevor es überhaupt zu Verhandlungen gekommen ist. Bei verkehrspolitischen Maßnahmen gibt es nach Meinungsumfragen eine sichere Zustimmung der Bevölkerung für die Maßnahmen, die der alte Senat getroffen hat. Was nun bestimmte Ressorts — etwa das Innenressort — angeht: Wer einen Koalitionspartner sucht und braucht, wird sich mit ihm auch arrangieren müssen. Wer den Regierenden Bürgermeister stellen will, der wird der zweiten großen Partei eine Auswahl von gewissen Spitzenfunktionen überlassen müssen.

Wo ist die Manövriermasse, wo liegt die Schmerzgrenze in Ihrem Ressort?

Auf eine betont liberale Innenpolitik kann man gerade in einer großen Koalition auf keinen Fall verzichten.

Bei der Polizei gibt es Befürchtungen, daß es unter einem CDU- Senator in den Führungsebenen personelle Veränderungen geben, daß vom Prinzip der Deeskalation Abschied genommen, daß Einsätze auf Demonstrationen härter und die Einsatzbereitschaften wieder zentral organisiert würden. Auch beim Spezial-Einsatz-Kommando (SEK), das normalerweise bei Banküberfällen und Geiselnahmen eingesetzt wird, gibt es Angst, wieder verstärkt bei gewalttätigen Demonstrationen eingesetzt zu werden. Könnten Sie sich einen CDU-Innensenator vorstellen, der dies alles nicht machen würde, der liberale Polizei-Politik vertreten würde?

Ich habe in der Polizei für bessere Führungsstrukturen und — wie ich meine — für bessere Personalentscheidungen gesorgt. So habe ich durchaus fähige Polizeiführer gefördert, die der CDU angehören, und nicht jeder Sozialdemokrat in der Polizei fühlt sich von mir gut behandelt. Meine Sorge ist in der Tat, daß ein CDU-Innensenator nicht nur nach Qualifikationskriterien verfahren könnte. Bis zum Antritt des jetzigen Senats hatte die Zahl der Gewalttäter in West-Berlin bis auf 1.000 zugenommen. Heute gibt es in ganz Berlin vielleicht noch 500 — wegen dieser besonnenen, aber im Ergebnis viel erfolgreicheren Polizeitaktik. Ich fürchte, daß das viele in der CDU bis heute nicht verstanden haben und die Entwicklung zurückdrehen wollen. Nach Meinungsumfragen ist unsere Politik der inneren Sicherheit und Befriedung von der Mehrheit der Bevölkerung auch akzeptiert worden.

Die sogenannte Sonderkommission »SoKo Lietze«, die im Antes- und anderen Bauskandalen erfolgreich ermittelte, aber vom damaligen CDU-Innensenator Kewenig abgeschafft wurde, haben sie wieder aufgebaut, um gegen organisierte Wirtschaftskriminalität vorzugehen. Inzwischen ist die 30-Mann-Kommission auf über 80 erhöht worden, um auch die Geldschiebereien der ehemaligen DDR- Machthaber aufklären zu können. Wenn die CDU diese Kommission erneut abschaffen wollte, können Sie sich vorstellen, daß Ihre Partei sagt: »Ohne uns«?

Mit uns gibt es keinen Rückschritt.

Außer bei der Polizei gibt es auch im Landesamt für Verfassungsschutz Leute, die schwer am Zittern sind.

Schwer am Zittern? Vor Freude!?

Zum Teil, zum Teil aber auch nicht. Auch da hat es Reformansätze gegeben, die jetzt zur Disposition stehen. Unter anderem haben Sie eine Fachaufsicht etabliert.

Wer glaubt, das alles zurückdrehen zu können, der irrt. Auch ein CDU-Senator müßte heute froh über eine wirksame Aufsicht sein.

Interview: Jürgen Gottschlich

und Dirk Wildt