Aderlaß bei Nixdorf

■ Erst Gerücht, jetzt Gewißheit: Bei Nixdorf werden 200 Arbeitsplätze abgebaut/ Betriebsrat befürchtet mittelfristig Stillegung der Produktion

Wedding. Es war einmal eine Computerfirma, die in Berlin 6.000 Arbeitsplätze schaffen wollte. Seit gestern gehört dieses Kapitel der Nixdorf-Geschichte endgültig in den Bereich der Märchenwelt. 200 weitere Arbeitsplätze, so bestätigte Nixdorf- Geschäftsführer Häbich, werden in der »Nixdorf Computer Datenverarbeitungssysteme GmbH« in den nächsten zehn Monaten abgebaut. Die Belegschaft wird damit von 710 auf rund 500 reduziert. Betriebsrat Böhncke befürchtet sogar, daß »in zwei Jahren die gesamte Produktion aus Berlin verschwunden ist«.

Bislang hatten nur Entlassungsgerüchte in der Belegschaft für Unruhe gesorgt. Ein Schreiben aus Paderborn, seit der Übernahme von Nixdorf durch Siemens Sitz der »Siemens Nixdorf Informationssysteme AG« (SNI), bestätigte vor Tagen die Befürchtungen: Aufgrund der Verlagerung der PC-Produktion nach Augsburg und »der Umsatzentwicklung der in Berlin produzierten Produkte« sei eine »Reduzierung des Personalumfangs erforderlich«.

Zwar möchte Vorstandsmitglied Hartwig Rogge die Beschäftigten in einem Schreiben besänftigen: die Unternehmensleitung wolle »alle Möglichkeiten der anderweitigen Weiterbeschäftigung, zum Beispiel durch Versetzungen, anbieten«. Gemeint ist damit vor allem das Vertriebsgeschäft, das Siemens in Berlin mit vermutlich mehreren hundert Arbeitsplätzen ausbauen will. Doch Betriebsrat Udo Böhncke stimmen solche Beschwichtigungen keineswegs versöhnlich, denn entlassene MitarbeiterInnen aus der Produktion können kaum in den Dienstleistungsbereich umgesetzt werden. Über den Sozialplan hinaus will der Betriebsrat nun darum kämpfen, daß Siemens-Nixdorf allen Betroffenen eine Umschulung oder Ausbildung garantiert, damit »die auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig werden«.

Von Produktionsstillegungen will Geschäftsführer Häbich zwar nichts wissen, die Befürchtungen aber findet er »schon verständlich.« Die Verlagerung der Herstellung von PCs nach Augsburg soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Überlegungen, Produktionsstätten für Kassengeräte aus Singapur wieder nach Berlin zu holen, wurden im Sommer dieses Jahres verworfen. Seit der Übernahme des seit Jahren krisengeschüttelten Betriebes durch Siemens sei, so Betriebsrat Böhncke, ein struktureller Umbau im Gange. »Und da hat man eben entschieden, daß es uns treffen soll.«

Konsequenzen hat die Umstrukturierung möglicherweise auch für die rund 30 behinderten MitarbeiterInnen, die — vermittelt von der »Behindertenwerkstätte Berlin« (BWB) — bei Nixdorf beschäftigt sind. Der Betrieb gilt als Modellfall für die Integrierung behinderter Menschen am Arbeitsplatz. Nun wurde der BWB von der Geschäftsleitung mitgeteilt, daß für Januar 1991 vorerst keine Arbeitskräfte benötigt würden. Nach Auskunft von Geschäftsführer Häbich ist dies ein »normaler Vorgang« zu Anfang jedes Produktionsjahres. Ob die behinderten KollegInnen ab Februar ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen, wollte Häbich »dieses Mal« nicht versprechen.

Bei der Suche nach rettenden Strohhalmen hofft der Nixdorf-Betriebsrat auch auf die neue Stadtregierung, deren Wirtschaftssenator vermutlich Elmar Pieroth heißen wird. Jener hatte seinerzeit kräftig an der Fabel über die 6.000 Arbeitsplatze bei Nixdorf mitgestrickt. »Deshalb«, sagt Udo Böhncke, »ist dieses Unternehmen immer kräftig subventioniert worden.« anb