Beckett stumm

■ „Akte ohne Worte“ von Samuel Beckett in Bochum

Seine Helden wurden von Roman zu Roman lädierter, unbeweglicher, schwächer, seine Theaterstücke immer handlungsärmer und kürzer, vom abendfüllenden Vierpersonenstück Warten auf Godot 1953 bis zu den nur wenige Minuten langen Erinnerungsmonologen der letzten Jahre.

Im Rückblick — Beckett starb vor einem Jahr — wird deutlich, wie produktiv diese Rückzugsstrategie war. Auf dem Weg zum Verstummen hatte Beckett noch viel zu sagen. Becketts Alterswerk besteht aus exquisiten Miniaturen, schwarzen Diamanten, geschliffen und hart.

Das Bochumer Schauspiel hat nun zwei Stücke Becketts auf den Spielplan gesetzt, die frühe Beispiele von Becketts produktiver Reduktion sind, Übungen in der Kunst, nichts zu sagen, schweigsame Etüden. Die beiden in den fünfziger Jahren geschriebenen Akte ohne Worte sind Pantomimen, aber keine verspielte Unterhaltungskunst wie die Soloszenen Marcel Marceaus, sondern lapidare Clownsummern, komisch und bitter wie die Stummfilme Buster Keatons.

Akt eins: Ein Mann wird auf die Bühne geworfen, er versucht wieder zu verschwinden, wird zurückgeworfen — von wem, weiß man nicht. Nacheinander kommen eine Palme, eine Schere, drei Würfel, eine Wasserkaraffe und ein Tau vom Schnürboden herab. Die Hoffnung, das Wasser zu erreichen, wird durch die Würfel und das Tau nur geweckt, um wieder frustriert zu werden. Die Karaffe wird im entscheidenden Moment hochgezogen. Noch die Hoffnung, sich erhängen zu können, wird vereitelt: Der Ast verdorrt am Baum. Der Mensch ist gefoppt und genarrt von einer Macht jenseits seiner Bühne. Mühsam lernt er seine Lektion: Hoffnung ist vergeblich, Selbstmord kein Ausweg.

Akt zwei: Zwei Männer liegen in zwei Säcken nebeneinander auf einem schmalen Steg. Der erste wird von einem Stachel geweckt, steht vertrottelt langsam auf, transportiert den anderen Sack ein Stück weiter und verkriecht sich in seinen Schlafbeutel. Der Stachel erscheint erneut, weckt den zweiten Mann, der entsteigt alert und agil dem Sack, stampft mit dem anderen auf dem Rücken ein Stück weiter und verstaut sich wieder in seinem Behälter. Der Stachel weckt nun wieder den müden Melancholiker, der schält sich aus dem Sack, und da die ewige Wiederkehr des Gleichen nun erkannt ist, senkt sich der Vorhang. Sie kennen sich nicht, sie begegnen sich nicht, und doch ist der eine des anderen Last.

Für sich betrachtet, ist das allzu versimpelte Symbolik: das Existential der Geworfenheit, verbildlicht durch den auf die Bühne geworfenen Menschen — ein philosophischer Comic strip. Das Mitsein mit dem anderen dramatisiert nach dem Modell des Wetterhäuschens — ein ontologischer Kalauer: Existentialismus für Begriffsstutzige. Aber „Akt 1“ war eigentlich das parodistische Nachspiel zu Becketts Endspiel. Erst im Zusammenhang von Becketts Werk könnte deutlich werden, daß Beckett auch in diesen Nebenwerken mehr war als nur der Zirkusclown des französischen Existentialismus.

So sehr die Beschränkung auf diese beiden Stücke daher zu bedauern ist, so ist sie doch die Voraussetzung für eine Stärke des Abends: die Stille. Regisseur Gero Troike verzichtet auf die für „Akt 1“ eigentlich vorgesehene Musik und läßt so das Publikum allein mit der stummen Aktion der Schauspieler und dem lautlosen Ablauf der Bühnenmaschinerie. Das schärft die Aufmerksamkeit enorm und lädt noch mikroskopisch kleine Bewegungen mit Bedeutung auf. Gero Troike, der sonst als Bühnenbildner mit Jürgen Gosch zusammenarbeitet, läßt auf kahler, offener Bühne spielen, nur ein paar Sandhäufchen und eine rote Sonne deuten die Wüste des ersten Teils an. Sonst folgt die Inszenierung bis ins Detail den Anweisungen Becketts. Diese ehrfürchtige Werktreue, der Verzicht auf jegliche kreative Interpretation verstärkt aber nur die Tendenz zur Banalisierung. Daß diese Banalität nur die Schwundstufe der Wahrheit, das Endresultat einer totgependelten Dialektik von Sinn und Sinnlosigkeit ist, kann die Inszenierung nicht vermitteln. Das Schweigen wurde nicht zum Sprechen gebracht. Beckett blieb stumm. Gerhard Preußer

Samuel Beckett: Akt ohne Wort 1 / Akt ohne Wort 2 , Schauspielhaus Bochum (Kammerspiele), Regie und Bühnenbild: Gero Troike. Mit Tilo Nest und Thomas Wittmann. Weitere Vorstellungen: 6., 14., 27.12.