SHORT STORIES FROM AMERICA VONMARCIAPALLY

Mitte November feierte Amerika Thanksgiving, wie jedes Jahr. An diesem fürchterlichen Tag — meistens eine bessere Ausrede für Truthahn, Kürbis und Preiselbeeren (niemand, den ich kenne, käme an irgendeinem anderen Tag des Jahres auch nur auf die Idee, so etwas zu essen) gedenken wir all dessen, wofür wir dankbar sind. Walter Wengert Jr. brachte über die ganze Titelseite der 'New York Times‘ seine Dankbarkeit zum Ausdruck. Er kochte einen 13pfündigen Truthahn in seiner selbstgebastelten Hütte unter einem Highway Manhattans und erzählte den Reporten, daß es „der Inbegriff von Thanksgiving“ sei, seine Essensmarken mit weniger glücklichen Freunden zu teilen.

Ich für meinen Teil war für einige Dinge dankbar, die seltsamerweise in der 'Times‘- Thanksgiving-Liste nicht auftauchten. Zum Beispiel dafür, daß 34 Nationen die Charta von Paris unterzeichnet und damit den Beginn eines kooperativen Europa markiert haben. Ich bin froh darüber, daß Maggies Kronprinzen sie schlußendlich entthront haben. Besonders glücklich bin ich darüber, daß David Duke, früher ein Klu Klux Klan-Mann, es vor einigen Wochen nicht geschafft hat, in den US-Senat gewählt zu werden. Er gewann nur 44 Prozent der Stimmen in Louisiana. Allerdings wird es einige Beobachter beunruhigen zu erfahren, daß er immerhin 60 Prozent aller Stimmen der Weißen erhielt und daß der Kandidat der Republikaner freiwillig aus dem Rennen schied, um den Kandidaten der Demokraten zu unterstützen und damit zu verhindern, daß ein Splitting der Stimmen Duke am Ende noch zur Mehrheit verhelfen würde. Aber an Thanksgiving wollen wir doch nur die Sonnenseite sehen, und die Sonnenseite ist doch, daß die Demokraten auf diese Weise auf den Trick gekommen sind, wie sie Senatssitze gewinnen können.

An Thanksgiving war ich auch glücklich darüber, daß die beiden Männer freigesprochen wurden, die dafür angeklagt worden waren, daß sie einem Auto in Cincinnati — der Stadt, in der der Prozeß gegen Mapplethorpes obszöne Bilder stattfand — Händchen hielten. Der Richter meinte, die Anklage (automobiles Handauflegen?) sei zu vage. Dankbar bin ich auch, daß die saudiarabischen Frauen neulich für ihr Recht auf den Führerschein demonstrierten. Siebzig verschleierte Frauen gaben ihren Chauffeuren einen Nachmittag frei und fuhren eigenhändig durch Riad, bevor die Polizei sie stoppte und verhaftete. Die Frauen wurden wieder freigelassen, nachdem sie versprochen hatten, ihre Demonstration nicht zu wiederholen. Aber die Kräfte der Revolution werden sich so leicht nicht bändigen lassen.

So könnten sich diese arabischen Ladies etwa ein Beispiel an ihren exilierten kuwaitischen Leidensgenossinnen nehmen, denen eine wichtigere Rolle im zukünftigen post-irakischen Kuwait versprochen wurde. (Kein Geringerer als der Kronprinz selbst gab dieses Versprechen im Oktober vor dem kuwaitischen Volkskongreß, dem — wie es der Kolumnist Alexander Cockburn nannte — ersten „Offshore“-Parlament). Sie könnten sich sogar ihre irakischen Schwestern zum Vorbild nehmen, die während des männerverschleißenden Kriegs mit Iran zu den am besten ausgebildeten und beschäftigten Frauen in der moslemischen Welt wurden. Was mir Sorgen macht: Die kuwaitischen und saudischen könglichen Familien könnten vor den Mädels und ihrem Kampf um Rechte Angst bekommen. Am Ende würden sie sich lieber mit Hussein auf einen Deal einlassen — ein oder zwei Ölfelder gegen einen sicheren Thron — als mit Bush eine Koalition einzugehen, immer in der Angst, diese könnte platzen wegen ein paar Frauen, die selber einkaufen fahren wollen.

So gesehen ist es nicht nur das Öl, das auf dem Spiel steht. Wenn die Saudis sich mit Irak einigen, hat Bush schlechte Karten. Wie will er die Saudis dazu kriegen, Freiheitskämpfer zu finanzieren, die der Kongreß nicht unterstützt — so wie sie die Contras in Nicaragua finanzierten, als der Kongreß die Mittel strich, oder wie sie Jonas Savimbi in Angola unterstützten oder die afghanischen Rebellen zu einem Zeitpunkt, als die Sowjetunion bereits begann, sich zurückzuziehen und der kalte Krieg als Motiv nicht mehr taugte? Wenn die Saudis und Kuwaitis mit Saddam schön tun, wie will Bush die Waffen kontrollieren, die er ihm geschickt hat? Syriens Hafez al-Assad, den Bush ebenfalls bewaffnet hat, hat er bereits nicht mehr im Griff. Kürzlich kapitulierte der antisyrische christliche General Michel Aoun vor Elias Hrawi, der von Syrien unterstützt wird. Syrer erschossen den christlichen Führer Dany Chamoun und errichteten einen Stützpunkt für Abu Nidal im syrisch kontrollierten Bekaa-Tal, dessen Männer angeblich im Oktober den ägyptischen Regierungssprecher ermordet haben.

Man stelle sich das vor: Syrien, Saudi-Arabien, Kuwait und Irak würden Kumpel und Irak hätte Uran für Atomwaffen — diesen Teufel malt die US-Presse täglich an die Wand. Zur Zeit erscheinen unzählige Artikel zum Thema spaltbares Uran 235, über inaktive und aktive Isotope und über Zentrifugen, die Uran-Hexaflorid anreichern. Niemand kapiert das so richtig, außer der Schlußfolgerung, daß Saddam in fünf bis zehn Jahren das Ding ausgebrütet haben könnte. Dann wird Bush über ihn nicht mehr Kontrolle haben als seine Vorgänger über die Sowjetunion hatten.

Zum Schluß noch ein paar gute Nachrichten. Die Verteidigunsindustrie floriert, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Alles das, was Deutschland sich von Osteuropa verspricht. Alles das, was Gorbi bräuchte, um seine Republiken zu einigen. Alles das, weshalb George und Barbara nach Arabien gingen, um Dank zu sagen und Truthahn zu essen. Ich habe gehört, er hat sie sogar zum Einkaufen nach Riad gefahren. Die arabischen Ladies sollten sich ein Beispiel nehmen.

Aus dem Amerikanischen von

Christiane Peitz und Anja Seeliger

WOFÜRWIRAMERIKANERDANKBARSEINSOLLTEN