Schäuble-Schwalbe mit Barschel-Dive

Beim Stage diving springen voll zurechnungsfähige Menschen ins vor ihnen tobende Publikum Das jüngste Ergebnis masoidiotischer Langeweile hatte in Bochum seine Weltpremiere  ■ Im Pogopulk Thomas Meiser

Nix hipp. Nix hopp. Sondern hopps. Aber hui. Zehn Herren, jeweils jenseits der Grenze der Volljährigkeit, niemand scheint entmündigt, versammeln sich freiwillig, um während eines „punk acts“ von der Bühne ins Publikum springen. Stage diving heißt die Verrichtung. Das Ganze will ein Wettbewerb sein und vor allem eine Weltpremiere. Den drei besten, skurrilsten, beklopptesten der wunderlichen Disziplin wird ihre Kunst mit einer aufblasbaren Gummipuppe vergolten. Und die Teilnehmer kommen aus guten Gründen aus der Pampa. Aus Leibheim in Bayern. Aus Weil bei Hamm. Aus Winz bei Stade. Weil in den Dörfern die Langeweile grenzenlos ist, muß dort der Punk toben. Das Ritual des Pogoabends ersetzt in der Provinz die Kneipenkeilerei am Wochenende. Hier läuft nicht Fugazi, hier läuft's fugativ.

In Bochum lief es erst mal ziemlich schlapp an: Flügellahm plumpst der erste Diver zu den Rhythmen der Einheizkombo „Abstürzende Brieftauben“ in die Traube seiner im Saal pogenden Kumpels. Kaum fähig auf den Beinen zu stehen, boxt er sich durch den Pulk, um erneut die Bühne zu entern und sich zum nächsten Absturz zu präparieren. Null Power der Typ, keine Kondition. Ein Hänfling, dürr wie die Krähenfüße des „Brieftauben“-Sängers.

Die anderen bringen mehr. Mehr Höhe, mehr Weite, mehr Qualität. Einer bringt auch mehr Gewicht. Neunzig Kilo kommen von oben. Jeder divt einen Song lang, fünf bis sechs Sprünge sind drin in dreieinhalb Minuten. Und was für welche: halbe und Dreiviertelschrauben gestreckt und gehockt. Klassische Flachköpper, Maso-Dives mit gespreizten Beinen, Hochsprünge mit einer Monitorbox als Sprungbrett. Selbst gehockte Vor- und Rückwärtssalti in die muntere Meute.

Voraussetzung für einen guten Sprung ist das richtige „timing“. Die Kombo muß einen Refrain spielen. Etwa diesen: „Sie sind stolz darauf, deutsch zu sein. Doch warum, versteht kein Schwein.“ Der mentale Bölkstoff heizt den Kiddie-Autonomen ein. Die antifaschistische Säuferjugend gröhlt: „Nazis raus, Nazis raus!“ Noch Sekunden bis zum „riot“. Punk bleibt Punk, und Punk muß putt.

Jetzt hopst der Diver auf der Bühne, wiegt sich im Rhythmus, kommt auf Touren, der Pogopulk vor der Bühne rast. Und ab geht die Post. Flieger, grüß mir die Sonne. Tanz den Mussolini. Mach uns die Schäuble-Schwalbe! Her mit dem Barschel-Dive! Die Knochen müssen krachen. „Fall doch auf die Schnauze, fall doch auf die Schnauze“, kräht der böse Luftrattensänger. Wann fließt hier endlich Blut? Von der hinteren Bühne beschleunigt der despektierliche Diver, springt der lästernden Lahmente in den Rücken, beide poltern mit dem Mikrofonständer in den Graben vor der Bühne. Gerechtigkeit! Und endlich Blut. Der Treffer des Tages trifft den Richtigen. Ein fettleibiger Security-Heinz blutet aus seinem Kopf. Da kommt Freude auf. Ekstase ohne Nase. Was für ein Abgang! Schweiß entweicht aus vielen Drüsen in die Hallenluft, und am Ende ist ein jedes Herz voll von Freude.

Eine Stunde standen die zehn Herren im Mittelpunkt des Geschehens. Menschen wie du und ich waren dem Himmel nah. Eine Winzigkeit lang entrückt, wurden auf Händen getragen und gingen auf in der Masse von ihresgleichen. Man findet immer irgendwen, der sich zum Preis eines Rampenlichts zum Kasper macht. Im Kaperltheater sind Diver die dümmsten Deppen. Frisch, fromm, fröhlich, „fucked off“. „Just for fun“, denn bekanntlich ist „stage diving“ eine Fun-Sportart. „Etwa so wie Skateboard fahren“, predigt Manu- Mausi, die Pressewartin, missionierend wie Päpstin Pia, als sie zu den Kreuzzügen aufrief.