Realpolitik regiert Potsdam

Brandenburgs Ampelkoalition gibt sich nach den Wahlen unerschüttert  ■ Aus Potsdam Irina Grabowski

Wenn Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe in Fernsehtalkshows mit beinahe sauertöpfischer Miene vor sich hinbrütet, dann sehen vorschnelle Beobachter die Brandenburger Ampelkoalition schon in der Krise. Noch ist nicht vergessen, wie Stolpe vor den Landtagswahlen ein Zusammengehen mit der CDU als „von der Vernunft diktiert“ erwog. Natürlich wollte er auch schon immer die Bürgerbewegungen stärker an politischer Verantwortung beteiligen, was zunächst aber nur hieß, sie als außerparlamentarische Opposition und Initiative vor Ort ernst zu nehmen.

Am Sonntag nun hat sich im einzigen SPD-regierten Neu-Bundesland die CDU mit rund 36 Prozent der Stimmen Platz eins gesichert. Dazu kam der Niedergang von Rot-Grün in Berlin.

Doch für Manfred Stolpe, den Hoffnungsträger der Sozialdemokratie im deutschen Osten, ist beides kein Grund zur Aufregung. Er konstatiert seiner Koaltionsregierung Stabilität. „Eine große Koalition ist der parlamentarischen Demokratie nicht dienlich“, räumt seinerseits FDP-Fraktionsführer Rainer Siebert den Verdacht aus, in Brandenburg seien die Liberalen die unsicheren Kantonisten. Das zahlenmäßige Verhältnis von Koalition zur Opposition stimme mit dem Willen der Wähler in Brandenburg überein und sei Grundlage für einen konstruktiven Meinungsstreit. Bündnis 90 sei nicht durch eine Politik im AL-Stil vorbelastet. In den Diskussionen über die Verwaltungsreform, die für die Regierbarkeit entscheidend ist, waren sich Bündnis 90 und FDP einig wie nie. Gemeinsam drängten sie die SPD dazu, den Verzicht auf Mittelinstanzen im Koalitionspapier festzuschreiben.

Die Abwicklung der Bezirksverwaltungsbehörden in Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus — hervorgegangen aus den ehemaligen Räten der Bezirke unterliegen sie keinerlei parlamentarischer Kontrolle — schien beschlossene Sache. Doch der Chef dieser Behörden, Jochen Wolf (SPD), hatte in letzter Amtshandlung ihre Übernahme in Landeshoheit verfügt und damit dem zukünftigen Minister den Spielraum für Personalentscheidungen eingeengt. Diese Entscheidung wurde auf Druck der FDP und Bündnis 90 rückgängig gemacht. Die rund 3.000 MitarbeiterInnen der Bezirksverwaltungsbehörden werden ab 1.1.1991 gemäß der Fußnote im Einigungsvertrag auf die Warteschleife geschickt, mit der Chance, sich für die Stellen in den neuen Ministerien zu bewerben. Wolf entschuldigte sich für seine politische Fehlleistung und konnte damit retten, woran er in halbjähriger Amtszeit gebastelt hatte: einen Ministerposten.

Wolf steht für die Befürworter einer großen Koalition innerhalb der SPD. Seine Prognose für die Ampelkoalition: Er habe der Einschätzung Mompers, Rot-Grün sei ein auslaufendes Modell, nichts hinzuzufügen.

Was müssen die Leute in der SPD für eine Angst vor der Verantwortung haben, fragt sich der Fraktionsführer von Bündnis 90, Günter Nooke, die glauben, nur mit der CDU können Investoren ins Land geholt werden und Brandenburg regierbar sein. Die Ergebnisse vom Sonntag bewertet er nicht allein negativ. „Wir werden uns auch mit Diepgen, ob nun über Verkehrsplanung oder das Müllproblem, einig“, meint Nooke in Richtung Berlin. Mit Vernunft Politik machen ohne Parteienzwang und Postenschielerei — dafür habe das Bündnis 90 in Brandenburg Regierungsverantwortung übernommen. In diesem Sinne sei das Brandenburger Modell wichtig für den Realoflügel der Grünen.

FDP-Fraktionschef Siebert sieht Differenzen im Bereich der Bildung und möglicherweise auch bei der Umstrukturierung der Wirtschaft. Den Vorwurf der CDU, Stolpes Ministerrunde sei regierungsunfähig, weist er als Polemik zurück. Nachdem de Mazière auf dem „Erneuerungs“-Parteitag der Brandenburger CDU als neuer Landesvorsitzender sich an diesem Thema warmgeboxt hatte, schob Fraktionsführer Diestel im Landtag Kritik an der späten Regierungserklärung nach. Die Verzögerung behindere die Abgeordneten in ihrer Arbeit und stelle eine Mißachtung des Landtags dar.

Manfred Stolpe aber will eine Regierungserklärung „ohne blah-blah“ und allgemeine Aussagen, und das habe eben seine Zeit gebraucht. Die Arbeit in den Ministerien läuft auch ohne große Worte an, die Termine überschlagen sich. Als erste Regierung in den neuen Bundesländern haben die Brandenburger mit dem Treuhandvorstand vereinbart, durch rechtzeitige Information in die Entscheidung über gefährdete Betriebe eingreifen zu können. Die betriebswirtschaftliche Bewertung der Treuhandexperten will die Regierung durch eine Einschätzung der regionalen Auswirkungen begleiten.