■ Nebulöse Straßenecke

Foto: David Baltzer

Hans Henny Jahn im Allgemeinen, seiner Szenencollage »Straßenecke« aber im Besonderen wird ein Respekt gezollt, der dem Autor zwar allerorten literaturwissenschaftliche Weihen verleiht, sein theatrales Werk jedoch vor dem häufigen Gebrauch durch unsere Bühnen zu bewahren scheint. Nur die ganz großen Namen, wie Peymann, Steckel oder Utzerath haben sich vor Zeiten einmal an die Aufhellung dieser nebulösen Straßenecke herangetraut. Und nun eben auch eine neue Mannschaft der FU-Studiobühne, deren Führung es in der Vergangenheit immer wieder mal gelungen ist, mit der Ausgrabung seltener Stücke aufzuwarten.

Die Sinne des Zuschauers werden mit Bildern überflutet, die allesamt ins Archaische drängen. Ein Sonderling, ein grün gefärbter Schwarzer, wird von den gelb leuchtenden Armen der Großstadt wollüstig umfangen und mit dem dem Menschen eigenen Sadismus gegeißelt. Die Mechanik von erotischem Bedürfnis, unbewältigter Selbstentfremdung, Massenhysterie und Lynchjustiz wird mit einer Monumentalität ausgestellt, die sich größtenteils auf den bloßen Körper der Darsteller - bis hin zur totalen Nacktheit - beschränkt. Doch auch die Grundelemente Wasser und Erde, sowei Brahms' Deutsches Requiem über Band werden hinzugezogen, um den überaus lyrischen, jeder Alltagssprache entkleideten Text Jahns zu versinnbildlichen. Viel Geheimnisvolles bleibt zurück. Um der sich metaphorisch stark machenden Aufführung angemessen folgen zu können, lese der Zuschauer zuvor das Stück im Band V der H.H.J.-Gesamtausgabe. Er wird der angebotenen Interpretation nicht nur wissender folgen können, sondern auch den Witz des Bühnenbildes verstehen... Fragezeichen ? Nun, ein bißchen Geheimnis möchte sich auch der Kalligraph vorbehalten... baal

Die »Straßenecke« der Studiobühne der FU kann noch bis Montag, jeweils um 20Uhr, im Fliegenden Theater in der Hasenheide 54 besichtigt werden.