Viele Leute ergeben einen Verein

■ Gründung der schwullesbischen Filmförderung zumLesbischschwulen Filmfest im Come In

Vor acht Monaten wurde es in der Küche der Edition Salzgeber in der Schöneberger Motzstraße eng: Fünfzehn schwullesbische Filminteressierte — untereinander noch kaum bekannt — warteten auf das »Aids- Shuttle«, den Kleinbus der Aids-Hilfe zur Fahrt zum bundesweiten Seminar »lesbischschwule Filmarbeit« im Waldschlößchen. Mit dabei waren Alexander Grunow, zur Zeit angestellt beim Landessender Sachsen des DFF mit der Idee eines »Männer-Magazins«, und Michael Österreich, der seine schwulen Videos im Offenen Kanal unterbringt. Die Waldfee Ulli Klaum, Mitarbeiter des Waldschlößchens und Mitinitatior des Treffens, das den Beginn mehrerer Schwulen-medien-Veranstaltungen darstellt. Co- Initiator Manfred Salzgeber schließlich, Chef des Panoramas bei den Berliner Filmfestspielen und Verleiher von Schwulen und Aidsfilmen, wußte bereits, daß er den Verleih gern »kollektivieren« möchte.

Am jetztigen Wochenende, beim vierten Treffen also, steht die Gründung des Vereins »Lesbisch-Schwules Filmbüro an. Ebenso wie bei Schwulenzeitungen, Schwulentheatergruppen, Schwulenradios und der gesamten Schwulenbewegung entspricht die Gründung der Entwicklung zur Spezialisierung, Professionalisierung und Vernetzung. Zu den ersten Ideen gehörte der Wunsch nach einem überregionalen Abspielring, der die teuren Importe internationaler Produktionen und den Aufbau eines schwullesbischen Filmarchives ermöglichen soll. Als Aufgaben wurde das Zusammenstellen von Filmreihen, das Sichtbarmachen vergrabener Filme und das Erstellens einen kritischen Lexikons protokolliert. Zwar gibt es mehrere Städte, in denen schwullesbische Filmfeste realisiert werden (in Würzburg bald seit zehn Jahren) — als Defizit wurde aber die mangelnde Reflektion, der fehlende überregionale Austausch und teils fehlendes Know-how zur Planung von Filmreihen angesprochen. Auch wird nach der Bedeutung des Rahmens gesucht, in dem man die Filme zeigt.

Theorie war und ist ebenso angesagt: Schwule und lesbische Filmgeschichte wurde aufgegriffen wie auch die Frage, was das eigentlich für Bilder sind, die Schwule und Lesben von sich selbst entwickeln. Produziert wird eine eigene Wirklichkeit. Eine Aufgabe, die sich allen schwulen und lesbischen Medien stellt, ist dabei die Reflektion der (Selbst)Bilder , die mehr oder weniger verschlüsselt auch Wünsche und Ängste von Schwulen und Lesben zeigen und Auskunft geben über Zeit und Ort ihrer Entstehung. Und weil es dabei um die Identitätsfrage geht, wird der Vergleich mit dem »heterosexuellen Film« ebenfalls versucht.

Mit der späteren Idee eines Vereins wurden neben dem Ring und dem Archiv weitere Wünsche zur aktiven Filmarbeit deutlich. Eine Kontakt - und Beratungstelle zur praktischen Filmarbeit wird es geben; Aus- und Weiterbildung für Kino- und Filmemacher konzipiert und organisiert werden. Beratende und finanzielle Förderung wird für die Kino- und Verleiharbeit sowie für Produktionen angestrebt.

In der Arbeitsgruppe Produktion arbeitet die Marburgerin Kathrin Schmehrsahl mit. Sie gehört zu einer Gruppe, die — hervorgegangen aus einem autonomen Seminar während des Unistreiks — mit Mitteln aus der Drehbuchförderung vom Hamburger Filmhaus an einem Dokumentarfilm über die reiche schwule und lesbische Subkultur in Hamburgs 40er und 50er Jahren arbeitet, als nicht Berlin, sondern die Hansestadt Deutschlands Metropole schwulen und lesbischen Lebens war. Ein ähnliches Projekt zur schwulen Stadtgeschichte gibt es in Bielefeld, das in den siebziger Jahren für die Schwulenbewegung die wichtigste Provinzstadt war. Gruppen, Projekte, Diskussionen und Subkultur werden dokumentiert — das schwule Leben also seit der Gründung der ersten Schwulengruppe 1972.

Dennis Sweet ist eigentlich Deutsch-Professor aus Boston, arbeitet aber seit längerem an einem Dokumentarfilm über die Schwulenbewegung der DDR. Juliet Bashore, Filmemacherin aus Los Angeles, hat beim zweiten Treffen — anwesend zur deutschen Uraufführung ihres Film »Kamikaze Hearts« - das Tuntenhaus in der Mainzer Straße entdeckt und dort monatelang einen Dokumentarfilm für Channel Four gedreht, der noch nicht fertig ist.

Auch dabei sein wird Bernd Pönnighaus, der mit anderen Bielefeldern ein Video vorbereitet, daß sich noch einmal mit dem Steit in der Bonner Beethovenhalle auseinandersetzt. Die einen wollten damals die außerparlamentarische Autonomie nicht verlieren, waren gegen eine bürokratisierte, angepaßte Schwulenpolitik. Die anderen hatten »die Parteien vor der Wahl auf den Prüfstand« gebeten. Mit Trillerpfeifen wurde die Veranstaltung gesprengt und der Emanzipation Zeit verschafft im Rennen gegen die vorschnelle Integration.

Vom Treffen erhofft man sich auch eine Signalwirkung für Kinobesitzer, Verleiher, Produktionsfirmen und Filmförderungsinstanzen: Sobald denen erst mal der breite Wunsch nach schwulen und lesbischen Filmen und die Marktchancen bewußt würden, heißt es, würden sie auch eher bereit sein, Filme zu untertiteln, zu synchronisieren, zu produzieren und zu zeigen. Damit beziehen sich die GründerInnen auf die Erfahrungen der schwulen Buchläden: Viele Buchverleger waren sehr erstaunt, zu erfahren, wieviele schwule Bücher sie bereits im Programm haben und zunehmend bereit, weitere schwule Bücher aufzunehmen. Der Abspielring würde auch eine Einspielgarantie bieten.

Gemeinsam ist den Gründern die Abneigung gegen Vereine — auf die damit erhofften ABM-Stellen, Spenden- und Subsidiaritätsmöglichkeiten verzichten will aber keiner. Schwulenkulturkritiker Elmar Drost aus Hannover möchte die Funktion des Abspielrings darauf reduziert wissen, ausländische Filme zu leihen und herumzuschicken; ansonsten möchte er dezentral arbeiten, um regional gewachsene Qualitäten nicht zu gefährden und einen Euro-Homo-Brei zu vermeiden. Gerlinde Schmidt vom Metropol- Kino in Hamburg liegt an einer Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Intitiativen im Bereich feministischer Filmarbeit, und die Schwulenfraktion beschäftigt sich mit der Frage, wie sie den Verein in der schwulen Infrastruktur verankern will

Zunächst übernimmt der Verein die bestehende Infrastruktur der Edition Salzgeber, die dann »für ihre/seine Zwecke ausgebaut wird«. Manfred Salzgeber, der Gründer der ersten Berliner Off-Kinos Arsenal, Yorck und Capitol, hat schon einmal seine Unternehmen verschenkt. Nun möchte er seinen Verleih dem Verein vermachen, der an diesem Wochenende gegründet wird.

Das Treffen der Engagierten in Sachen Film ist zwar öffentlich — aber für diejenigen, die sympathischerweise einfach nur »mal gerne ins Kino gehen« wird das Treffen von einem lesbischschwulen Filmfest begleitet. »Ich bin persönlich nicht unbedingt ein Verfechter dieser Filme, aber man muß ja zeigen und sehen, was da ist«, sagt Salzgeber, der mit Kurt Kupferschmid und Ira Kornmannshaus das Programm für das 800-Personen-Lichtspieltheater im Ex-Stasi-Kulturzentrum Come In zusammengestelt hat. Schwerpunkt sind diesmal niederländische und kanadische Produktionen: Fünfzehn Uraufführungen wird es geben, unter anderem der 1990 in den USA gedrehte »Men in Love«, begleitet von Regisseur Marc Husties. Jean Jacques Soukup

Termine bis 9.12. täglich im Kinoprogramm. Am 8.12. ist Fête im Foyer des Come In, Rudower Chaussee, S-Bahn Adlershof