Hüter der Westumweltgesetze blicken in Ostschlote

■ Unternehmen im Ostteil der Stadt bekommen zunehmend Besuch von Mitarbeitern der Senatsverwaltung für Umweltschutz/ Aber: Großfeuerungsanlagen haben noch bis 1996 Zeit mit der Umrüstung/ Umweltsenat beklagt sich über zuwenige Stellen für eine wirksame Kontrolle

Berlin. Bis zur Jahrtausendwende wird es dauern, die Schadstoffemissionen der Industrieanlagen im Ostteil auf westliches Niveau zu senken. Diese Schätzung gibt Klaus Jürgen Delhaes ab, der sich als Abteilungsleiter in der Senatsumweltverwaltung und als Berater des Ostberliner Umweltstadtrats Holger Brandt bereits einen Überblick über die riesigen Aufgaben im Ostteil der Stadt verschaffen konnte. Die Durchsetzung der bundesdeutschen Umweltgesetze im Osten kann gleichzeitig den — ohnehin schon mangelhaften — Kontrollstandard im Westen bedrohen. Um die Kontrolle und Genehmigung der Ostberliner Betriebe zu bewältigen, werde man »die Überwachungstätigkeit im Westen ein Stück zurücknehmen müssen«, sagt Wolfgang Bergfelder, ebenfalls Abteilungsleiter in der Umweltverwaltung. Künftig könnten in manchen Branchen voraussichtlich keine regelmäßigen Betriebskontrollen mehr stattfinden.

Die neuen Aufgaben im Osten werden den Personalmangel und das ohnehin sattsam bekannte Vollzugsdefizit verschärfen, mit dem sich die Westberliner Umweltbehörden seit Jahren herumschlagen müssen. Zwar kommen dank der Angliederung der Magistratsbehörden einige Stellen hinzu, und der Senat wollte eine Reihe zusätzlicher Planstellen im Umweltbereich ohnehin einrichten. Doch angesichts eines von Gutachtern des Innensenators allein für West-Berlin ermittelten Personaldefizits von 370 Stellen seien das nur Tropfen auf den heißen Stein, heißt es in der Senatsumweltverwaltung.

Es geht um 600 Anlagen im Osten Berlins

Etwa 600 genehmigungspflichtige Anlagen nach dem Bundesimmissionschutzgesetz sind im Ostteil Berlins zu erfassen, zu besichtigen und per Auflage zur Stillegung oder zur Nachrüstung zu verpflichten, schätzt Bergfelder. Das wären etwa ebensoviele Anlagen wie im Westen der Stadt. Dazu kommen an die 9.000 Betriebe, die Abwässer in die Kanalisation einleiten und die deshalb ab Januar unter die Westberliner Indirekteinleiterverordnung fallen. Weitere 800 bis 2.500 Anlagen — vor allem Kraftwerke und Heizwerke — müssen schon seit dem 3. Oktober von dem Westberliner Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA) betreut werden. »Die Zahl schwankt«, erläutert Gewerbedirektor Jürgen Wichmann, der noch damit beschäftigt ist, sich einen Überblick über sein neues Aufgabenfeld zu verschaffen.

Wie groß der Rückstand der Ostbetriebe ist und wie stark ihre Emissionen im Vergleich zu Westbetrieben sind, kann heute noch keiner sagen. Es gebe aber, so Delhaes, »keine Anlage, die nicht der Nachrüstung bedarf und die auch nur annähernd westliche Standards erfüllt«.

Darüber hinaus ist es für die Betriebe im Osten eine neue Erfahrung, daß staatliche Behörden versuchen, ökologische Auflagen durchzusetzen. Delhaes erinnert sich noch gut an seine erste dienstliche Begegnung mit einem Ostberliner Anlagenbetreiber, dem ehemaligen Energiekombinat Berlin (heute Ebag). Wegen ihres Kraftwerks Rummelsburg in die Magistratsverwaltung geladen, seien die Ebag-Manager zunächst »reingeritten wie die Großfürsten«, entsinnt sich der Abteilungsleiter. Ganz »erstaunt« hätten die Bosse reagiert, daß sie von einer Umweltbehörde mit Forderungen traktiert wurden.

Die Bundesumweltgesetze gelten zum großen Teil bereits seit dem 1.Juli, als mit der Währungsunion auch ein Umweltrahmengesetz von der DDR übernommen wurde. Trotzdem haben sich bisher kaum Betriebe aus eigenem Antrieb gemeldet und um Genehmigung gebeten. Das LAfA und auch die Magistratsumweltverwaltung haben deshalb die ihnen bekannten Anlagenbetreiber angeschrieben und sie darauf aufmerksam gemacht, daß die Anlagen angemeldet werden müssen. Die neuen Gesetze nicht zur Kenntnis zu nehmen, kann für die Firmen auch von Schaden zu sein. So kann sich Delhaes bisher nur an zwei oder drei Fälle erinnern, in denen Betriebe von der im Einigungsvertrag eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machten, im Fall von Investitionen ihre Altlasten bei den Behörden anzumelden und sich so von den Sanierungskosten freizustellen.

Kaum eine Firma meldete ihre Altlasten an

Immerhin laufe die Frist für derartige Anträge am 31.12. ab, erinnert der Abteilungsleiter. Für die Umrüstung und die Erfüllung der Weststandards bei sogenannten Altanlagen, die vor dem 1. Juli genehmigt wurden, bleibt den Firmen weitaus mehr Zeit. Für Großfeuerungsanlagen etwa läuft die Frist bis Ende 1996, für andere genehmigungspflichtige Anlagen schwankt der Zeitrahmen — je nachdem, wie stark der Grenzwert überschritten wird — zwischen einem und acht Jahren.

Vielleicht schon bis 1993 oder 1994 könne man den Anforderungen der Indirekteinleiterverordnung Geltung verschaffen, schätzt Delhaes. Doch um die im entsprechenden Gesetz verankerten Weststandards im Osten durchzusetzen, werde man wohl bis zur Jahrtausendwende brauchen.

Mit Personalmangel hat dabei nicht nur die Umweltverwaltung zu kämpfen, sondern auch das LAfA. Für die Kontrolle und Genehmigung von Kesseltechnik, Arbeits- und Emissionsschutz verfüge das Amt zur Zeit über ganze sieben Mitarbeiter, klagt Jürgen Wichmann. Sie müßten nun neben dem Westen auch den Osten der Stadt bearbeiten, längere Wege bewältigen und sich mit häufig völlig unkundigen Partnerbehörden und Firmen im Osten herumschlagen. »Wenn der Senat nicht ganz schnell Stellen bewilligt«, warnt Wichmann, »dann wird es eng.«

Immerhin können die Behörden relativ ungestört von Bürgerprotesten ihre Arbeit verrichten. Beschwerden, mit denen Bürger auf Umweltverpester aufmerksam machen wollten, seien bisher »erstaunlicherweise« kaum eingegangen, wundert sich Wichmann. Bergfelder und Delhaes berichten von ähnlichen Erfahrungen. Lediglich der Abbau der Mauer habe größeren Ärger von Anwohnern provoziert, erzählt Delhaes. Eine »Fülle von Beschwerden« seien von beiden Seiten des mittlerweile getilgten Bollwerks eingetroffen. Die Anwohner hätten sich gestört gefühlt, weil die Grenztruppen auch in den Nächten mit schlafstörendem Lärm die Betonwälle niederkämpften. Hans-Martin Tillack