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■ Die Verlagssituation in den USA

Das Gefühl ist flüchtig, kaum faßbar. Hat nicht die 'New York Times‘ noch letztes Frühjahr verkündet, daß Buchverlage in den Vereinigten Staaten blühen und gedeihen? Als Beleg zitierte sie Statistiken von 1989, wonach der Bücherverkauf um 10,9 Prozent gestiegen ist, im Jugendbuchgeschäft auf 3,6 Billionen $ jährlich. Wie kann man da dieses vage, störende Gefühl rechtfertigen, daß das intellektuelle Leben in den Vereinigten Staaten — bei Büchern als der wichtigsten Form der Kommunikation — beschränkter und wirkungsloser ist als je zuvor? Hat es mit der Tatsache zu tun, daß fünf große Verlage in den Vereinigten Staaten kürzlich von Multikonzernen einverleibt oder zerstört wurden und das es unmöglich ist, in Buchläden Zeitschriften zu finden, mit auch nur einem Hinweis auf Kontroversen?

In den letzten sieben Jahren gab es in der Buchindustrie eine immense Konzentration. Nun ist eine noch nie dagewesene Medienmacht in den Händen bemerkenswert weniger. Dieses Phänomen dürfte Europäern nicht unbekannt sein (man denke an Bertelsmann, Murdoch und Maxwell), aber die Übernahme amerikanischer Verlage durch Multis ist auf zweierlei Weise einzigartig: In vielen Fällen sind die Mutterfirmen Tausende von Meilen von der Tochtergesellschaft entfernt, und manche Mutterfirmen — zum Beispiel Paramount Communications (früher Gulf & Western) — haben so gut wie keine Erfahrung im Verlagswesen.

Die Konzentration im Verlagswesen bedeutet den Einbruch verkaufsorientierter, kurzlebiger Geschäftstechnik in eine verschlafene, ziemlich versnobte Heimindustrie. Das Verlagswesen hat sich von einer fest zusammengewachsenen Beziehung zwischen Verleger und Autor zu einem spekulativen Unternehmen entwickelt, an dem riesige Summen von Geld beteiligt sind, Scharen von Zwischenagenten, Versandfirmen, Anwälten, Verkäufern, Public Relations- und Marktforschungsexperten, Fernseh- und Filmmanagern. Beide, Autor und Verleger, vertrauen sich weniger. Auf der Jagd nach immer lukrativeren Verträgen wechseln Bestsellerautoren von einem Verlag zum anderen, während die weniger Erfolgreichen routiniert von den Verlegern gedrückt werden, die ihnen einst bescheidene Vorschüsse für den erwarteten bescheidenen Profit gaben. In vielen Fällen ist der individuelle Autor ersetzt worden durch Ghostwriter, die mit Berühmtheiten an einem Buch zusammenarbeiten, oder Teams von ferngesteuerten Niemanden, die Handlungsschemata schreiben oder Texte für nichtexistierende „Autoren“ von Roman-, Mysterie- oder Kinderbuchserien.

Diese knallharte und zugleich unsichere Atmosphäre ist von Vorsicht begleitet, einem Unwillen, Bücher zu veröffentlichen, die keine festumrissene Leserschaft haben. Von den Mutterfirmen unter Druck gesetzt, suchen die Verleger nach Büchern, deren Leserschaft von Marktforschern festgestellt werden kann — nach Selbsthilfebüchern, Häkelbüchern, New Age-Büchern, Garten- und Katzenpflegebüchern. Doch im Fall eines möglichen Bestsellers wird die Vorsicht in den Wind geschlagen. Gefährlich hohe Vorschüsse machen das Verlegen — wie das Filmgeschäft — immer mehr zum Glücksspiel.

Die größte Veränderung, die die Übernahme durch Multis mit sich brachte, ist eine Konzentration der Macht an der Spitze der Konzerne. In der neuen Welt der amerikanischen Verlage kommt alles von oben, ob es um die Entscheidung über einen Buchumschlag oder um die Größe einer Anzeige geht. Streng in ihrer Macht begrenzt, leben die Verleger ständig in der Furcht, gefeuert zu werden — selbst wenn sie mehr als fünf Jahre bei derselben Firma sind, können sie sich immer noch als Versager erweisen.

Gerade in dieser Woche stoppte Simon & Schusters Mutterfirma die Veröffentlichung eines Buches, daß gerade einen Vorschuß von 300.000 $ erreicht hatte. In der Begründung hieß es lapidar, das Buch sei von „fragwürdigem Geschmack“. Bestimmte Präsidenten von Konzernen — S.I. Newhouse von Advance Publications beispielsweise — haben geradezu den Ruf, ihre Chefverleger zu terrorisieren; einem 'Times‘-Artikel zufolge hat Newhouse persönlich die Chefverleger des 'New Yorker‘, von 'Vogue‘, 'Self‘ und 'Pantheon Books‘ aus ihren Jobs gedrängt.

Natürlich ist nichts davon völlig neu im amerikanischen Verlagswesen, das immer eine lockere Verbindung von Kunst und Kommerz war. Aber genau deshalb wurden kleine und mittlere kommerzielle Verlagshäuser im Verlagswesen gebraucht. Weil ihnen die grandiosen Erwartungen fehlten, sorgten sie für eine Basis solider, gut geschriebener literarischer Arbeit — was Verleger „middle list“-Bücher nennen. Wie Amerikas Mittelklasse merkt, daß das Kapital nach oben außerhalb ihrer Reichweite fließt, wird auch das „middle list“-Buch ignoriert, weil die Verleger ihr Geld in wenige — aber sehr viel teurere — Bücher mit Bestselleraussichten investieren.

Letztes Frühjahr hat Jason Epstein, der Literatur-Chef von Random House, in einem viel beachteten Artikel im 'New York Review of Books‘ festgestellt, die Lage sei „ernst, aber nicht hoffnungslos“. Er nannte die kostspieligen Autorenvorschüsse und die Höhe der Remittenden als die zwei Hauptübel im Verlagswesen und schwärmte von der breiten Palette von Büchern, die durch Kataloge und einige gute Buchläden verkauft werden könnten.

Er vergaß zu erwähnen, daß die Vielfalt an Verlagshäusern praktisch verschwunden ist und die übriggebliebenen alle irgendwie gleich wirken — aggressive, aber beunruhigte Verlagsfirmen, deren Vorstellung von sich selbst durch fremde Besitzer durcheinandergebracht wurde. Das Wissen um diese Unsicherheit taucht manchmal in dem nervösen Lächeln von Verlegern auf, wenn sie Reportern erzählen, wieviel Geld ihre Firma dieses Jahr gemacht hat.

Aus dem Amerikanischen von Anja Seeliger.

Carl Blecher, New York