Kaum Kritik an Privatisierung in der Tschechoslowakei

Wirtschaftswissenschaftler bemängeln — je nach politischer Couleur — höchstens das zu schnelle/zu langsame Tempo des wirtschaftlichen Umbaus  ■ Aus Prag Sabine Herre

Über ein Jahr nach der politischen Wende wartet die Bevölkerung der Tschechoslowakei mit wachsender Ungeduld auf eine Entscheidung über den Dreh- und Angelpunkt des wirtschaftlichen Reformprogrammes: die „große Privatisierung“. Zwar stimmte das Parlament inzwischen der Versteigerung der kleinen Dienstleistungsbetriebe zu; ein Beschluß über die Überführung der rund 5.000 staatlichen Unternehmen in Privatbesitz wurde jedoch erneut verschoben — sehr zum Ärger des rechten Fraktionsflügels des tschechoslowakischen Bürgerforums, der immer noch größten politischen Bewegung. Dessen Abgeordnete befürchten, daß der Umbau des Wirtschaftssystems somit erst im Herbst 1991 beginnen kann. Erneut würde man ein Jahr verlieren.

Andere Abgeordnete begrüßten die Entscheidung des Parlamentspräsidiums. Sie kritisieren das Tempo des Gesetzgebungsprozesses: Den Parlamentariern bleibe meist nichts anderes übrig, als die Vorlagen der Regierung zu verabschieden, eigene Entwürfe könnten aus Zeitgründen nicht eingebracht werden. Inzwischen freilich häufen sich Kommentare und Verbesserungsvorschläge von Wirtschaftswissenschaftlern, Finanzinstituten und Privatunternehmen, die das „Transformationsgesetz“ von allen Seiten beleuchten. Lob und Kritik konzentrieren sich dabei auf die sogenannte Kuponmethode, eine Idee von Thatcher-Freund Vaclav Klaus.

Der Finanzminister geht davon aus, daß die TschechInnen nicht über ausreichend Kapital zum Kauf der Staatsbetriebe verfügen. Da ein Verkauf an das Ausland jedoch begrenzt werden soll, habe man sich entschlossen, den „nationalen Besitz“ endlich denen zu geben, denen er seit vierzig Jahren angeblich gehört — der Bevölkerung. Ganz verschenkt werden sollen die Staatsbetriebe jedoch nicht.

Die EinwohnerInnen erhalten jetzt die Möglichkeit, zu günstigen Bedingungen Investitionskupons zu kaufen. Diese Kupons können sie in Anteilsscheine der in Aktiengesellschaften umgewandelten Betriebe eintauschen. Ob sie sich dabei für das Skodawerk in Pilsen oder die Budvarbrauerei in Ceské Budéjovice entscheiden, bleibt ihnen überlassen.

Der IWF, aber auch Ökonomen wie Jeffrey Sachs, haben dem alerten Finanzminister bereits ihre Anerkennung für die Kuponmethode ausgesprochen: Mit ihr befände er sich wirtschaftswissenschaftlich an der Weltspitze. Die Kritik tschechischer und slowakischer Fachleute konzentriert sich dagegen vor allem auf die Frage, ob die Bevölkerung überhaupt in der Lage sein wird, mit Investititionskupons und Aktien sinnvoll umzugehen. Ebenso wie in den „entwickelten Ländern des Westens“, befürchten diese Experten, könnte die überwiegende Mehrheit die Anteilsscheine — eventuell auch auf dem Schwarzmarkt — in bares Geld umsetzen und mit diesem die Nachfrage nach bereits jetzt knappen Luxusgütern ankurbeln. Eines der wichtigsten Ziele der Regierung, die Begrenzung der Inflation, könne so nicht erreicht werden.

Miloy Zeman, der bedeutendste Kontrahent des Finanzministers, spricht sich deshalb dafür aus, die Aktien in erster Linie an Betriebsangehörige zu nur leicht herabgesetzten Preisen zu verkaufen. Dadurch könnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Zum einen würde dem Markt Kaufkraft entzogen, zum anderen könnten sich die Betriebsangehörigen ein bedeutendes Mitspracherecht an der Leitung ihres Unternehmens erkaufen. Seiner Ansicht nach müsse es in der nivellierten Gesellschaft der Tschechoslowakei vorrangiges Ziel sein, einen wirtschaftlich aktiven „Mittelstand“ zu schaffen.

Die auch von den Sozialdemokraten erhobene Forderung nach Vorteilsaktien für Betriebsangehörige wurde von vielen Zeitungskommentatoren abgelehnt, die damit die derzeit in der Bevölkerung herrschende Meinung widergaben. Den Beschäftigten wird nicht zugetraut, daß sie über ihre eigenen kurzfristigen Ansichten hinausschauen könnten: ArbeiterInnen hätten zu arbeiten und nicht zu entscheiden.

Grundsätzlich gibt es in Prag kaum Kritik am Projekt der Privatisierung als solchem. Lediglich die KPCS sieht „keinen Grund für den Ausverkauf nationalen Eigentums an das Ausland“. Die immer noch zweitstärkste Partei des Landes ist der Ansicht, daß die Regierung der Bevölkerung mit ihrer Behauptung von der „Nützlichkeit der Privatisierung eine neue Wahrheit aufnötigt“. Ganz anders tönt die Kritik aus der entgegengesetzten politischen Ecke. Sie wehrt sich gegen die Verteufelung des Auslandskapitals. Nur durch dieses — nicht aber durch die nahezu kostenlose Verteilung der Aktien an die Bevölkerung — erhöhe sich das Grundkapital der Betriebe. Auf ausländisches Kapital will freilich auch Vaclav Klaus nicht verzichten. Er will lediglich den Anteil in einem Privatisierungsplan festlegen. Innerhalb von drei Jahren will die Regierung das Transformationsgesetz dann in die Tat umsetzen. Zunächst jedoch muß es vom Parlament verabschiedet werden.