Strategien gegen Bewaffnung von Kids

■ Ausländerbeauftragte John will mit Jugendlichen gegen die zunehmene Straßengewalt angehen

Berlin. Zivilcourage zu zeigen, ist nicht leicht. Wenn der Einsatz dann auch noch im Krankenhaus endet, sind Sinn und Zweck der Sache ernsthaft zu bezweifeln. Diese Erfahrung mußte der 23jährige Ilker machen. Er wollte einer Frau helfen, die am U-Bahnhof Neukölln von zwei Skinheads beraubt wurde. Die beiden schlitzten Ilker mit einem Rasiermesser beide Arme auf. Ihm jedoch kam niemand zu Hilfe. Er stellte Strafanzeige, das Verfahren wurde nach zwei Monaten eingestellt.

Ilker gehört zu dem Arbeitskreis »Jugend gegen Gewalt«, den die Ausländerbeauftragte Barbara John vor kurzem ins Leben gerufen hat. »Die Jugendlichen können nicht warten, bis Politik und Gesellschaft die Lösung für ihre Probleme gefunden haben. Sie müssen selbst initiativ werden und Verantwortung für sich und die anderen übernehmen«, sagte sie gestern vor der Presse. Deshalb ihr gemeinsamer Appell: »Weg mit den Waffen!« Das Tragen von Waffen steigere die Unsicherheit und Ängste. Allein in den vergangenen eineinhalb Jahren sind drei Jugendliche bei Auseinandersetzungen ums Leben gekommen, fünf wurden schwer verletzt. Die Ursache der Gewalt ist fast immer Angst: Angst vor der Bewaffnung des anderen, Angst vor Gerüchten über »Schlägertrupps«. Daraus resultiert der Glaube, unbewaffnet nicht mehr sicher durch die Staßen gehen zu können.

»Mit einem Messer in der Tasche kann man sehr leicht vom Opfer zum Täter werden«, meint der 19jährige Tim, Mitglied im Arbeitskreis. Der Zufall entscheide, wer aus einer Auseinandersetzung als Sieger hervorgehe. Im Freundeskreis der 16jährigen Nicki trägt jeder eine Waffe. Sprüche wie »Wenn mich jemand blöde anmacht, stech ich zu« fielen mehrmals am Tag. Ralf (19) befürchtet, daß sich in Berlin »amerikanische Verhältnisse« entwickeln und die Jugendlichen sich bald scharf bewaffnen werden. Flugblätter rufen gezielt zur Bildung von Gangs und dem Tragen von Waffen auf. Politische Gruppierungen — sowohl die autonome als auch die rechtsextremistische Szene — spannen frustrierte Jugendliche für ihre politischen Ziele ein.

Der Arbeitskreis soll nach Johns Auffassung bewirken, daß die Jugendlichen sich wieder entwaffnen: »Mit diesem Schritt werden zwar Ungerechtigkeiten und Fremdenhaß nicht beseitigt, aber es besteht ein lebensrettender Unterschied: Streitigkeiten haben nicht mehr zwangsläufig schwere Körperverletzungen oder gar Todesfälle zur Folge.« Ein Konzept dafür muß allerdings erst noch entwickelt werden. Die politischen Aspekte der Jugendgangs, ihre gesellschaftlichen Ursachen werden ausgeklammert. lada