Blockade-Zucker für die SU

■ Sowjetische Soldaten haben damit begonnen, 250.000 Tonnen Notvorräte aus den Blockade-Kellern Berlins auf Lastwagen und Schiffe zu verladen

Berlin. Mit Militärlastern und Transportflugzeugen haben sowjetische Soldaten gestern damit begonnen, die an die Sowjetunion verschenkten Notvorräte Berlins abzuholen. Insgesamt 250.000 Tonnen Nahrungsmittel sollen bis zum März kommenden Jahres per Lufttransport, auf dem Seeweg und mit Lastwagen auf dem Landweg in sowjetische Ballungszentren gebracht und dort an notleidende Sowjetbürger verteilt werden. Die Lebensmittel haben einen Wert von mehr als 500 Millionen DM.

Die ersten 16 sowjetischen Militärlastwagen zum Transport der Lebensmittel fuhren nach Angaben der Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe gestern morgen vor dem Lagerhaus einer Firma im Berliner Bezirk Tegel vor und luden 100 Tonnen Magermilchpulver ein. Die Ware ging unter Begleitsicherung durch Polizei und Bundeswehr zum sowjetischen Militärflughafen Sperenberg bei Zossen im Land Brandenburg, wo sie in Militärflugzeuge mit Ziel Moskau umgeladen wurde.

Die kostenlose Abgabe der Bundes- und der Senatsreserve Berlin, die nach der sowjetischen Blockade West-Berlins 1948 aus Furcht vor einer neuen Abriegelung der Halbstadt angelegt wurde, hatte Bundeskanzler Helmut Kohl in der vergangenen Woche nach Gesprächen deutscher mit sowjetischen Delegationen in Moskau beschlossen. Finanzminister Theo Waigel verzichtete darauf, vom Land Berlin die 126 Millionen DM zurückzufordern, die der Bund für die Beschaffung der Lebensmittel ausgelegt hatte.

Nach der zwischen Bonn und Moskau getroffenen Vereinbarung erhalten die Sowjets die Berliner Notvorräte sowie Lebensmittel und Medikamente aus deutschen Militärbeständen zwar kostenlos, müssen aber selbst für den Transport sorgen. Nach Angaben von Klein stellt die Sowjetunion dafür unter anderem täglich 200 Eisenbahnwaggons zur Verfügung, die über die Fähre zwischen Mukran auf Rügen und dem sowjetischen Fährhafen Klaipeda, dem früheren Memel, verschifft werden sollen. Mit einer Luftbrücke, die das sowjetische Militär organisiert, sollen nach Angaben des Regierungssprechers pro Tag 150 bis 200 Tonnen Hilfsgüter aus Berlin abtransportiert werden. Insgesamt sollen 2.000 Tonnen Trockenmilchpulver und 1.000 Tonnen Medikamente auf dem Luftweg in die Sowjetunion geschafft werden.

Neben der offiziellen deutschen Hilfe laufen die privaten Hilfsaktionen mit unverminderter Kraft weiter. Die Hilfsorganisation CARE teilte mit, neben den standardisierten Lebensmittelpaketen wolle sie auch dringend benötigte Medikamente in die Sowjetunion bringen. CARE werde ein zentrales Arzneimittellager in Moskau einrichten, das mit Sachspenden aus der Pharmaindustrie gefüllt werden soll. Die Zollverwaltungen beider Länder verständigten sich darauf, daß Hilfslieferungen mit der Aufschrift »Humanitäre Hilfe« ab sofort die Grenze ungehindert passieren können. Der sowjetische Zoll besteht nicht mehr auf eigenen Formularen, sondern erkennt die ausländischen Frachtpapiere, die auch in deutscher Sprache ausgestellt sein dürfen, an. ap