: Abschied von Deutschland
■ Hans Sahls Memoiren, 1. Band
Berlin 1933. Abschied von Deutschland. Ein Foto in Schwarzweiß. Ein junger Mann, etwa dreißigjährig, lehnt aus dem geöffneten Abteilfenster eines Zuges. Die Haare zurückgekämmt, leger gekleidet, keine Krawatte unter dem geöffneten Sakko, manschettenlose Handknöchel. Das leicht verlegene und ungemütliche Lächeln von jemandem, der nicht verreisen wollte, aber den Zug gerade noch erwischt hat. Minuten vorher war er mit „Hauptmann Frenzel von der Richthofenstaffel. Der Mann steht unter meinem persönlichen Schutz. Danke.“ durch die Sperre der SA- Leute in den Bahnhof geschoben worden. Sowas machte Eindruck.
„Der Zug war fast leer, ein Zug fast ohne Menschen, ein Geisterzug. [...] In einem Abteil saß ein Herr, der anscheinend nicht erkannt werden wollte. Er hatte die Vorhänge zugezogen und saß, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, hinter einer Zeitung, die er viel zu aufmerksam las. ,Verzeihung‘, sagte ich und ging wieder hinaus. Ich hatte ihn sofort erkannt. Es war gut zu wissen, daß man mit Max Reinhardt ins Exil fuhr. Man befand sich in guter Gesellschaft.“ Damit enden Hans Sahls Memoiren eines Moralisten und es beginnt Das Exil im Exil, der zweite Teil seiner Autobiographie.
Hans Sahl, 1902 in Dresden als Sohn wohlhabender deutsch-jüdischer Eltern geboren, hat Literatur- und Kunstgeschichte studiert, 1924 promoviert. Als Schriftsteller schreibt er für Berliner Feuilletons, und eine aussichtsvolle Karriere als Theater- und Filmkritiker zeichnet sich ab. Die Memoiren eines Moralisten ziehen noch einmal alle Register von Namen des kulturellen, literarischen und politischen Lebens der zwanziger Jahre, und der erst 1989 aus amerikanischem Exil zurückgekehrte Autor tut das in dem „Bewußtsein, einer der letzten zu sein, der noch über sie berichten kann“. „Die letzten Tage in Berlin erscheinen mir heute wie ein ewiges Abschiednehmen von etwas, das eben erst oder noch gar nicht begonnen hatte und doch endgültig war und unwiderruflich.“ Axel Schmidt
Hans Sahl, „Memoiren eines Moralisten“. Erweiterte Neuauflage mit Fotos, Sammlung Luchterhand, 240 Seiten, brosch., DM 16,80.
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