Editorial

„Ich bin keine Fotografin“, sagt die Fotografin dieser Literataz von sich selbst. „Ich kenne nur Blende elf und ein Hundertstel.“

Für Gertrude Duby Blom ist das Festhalten des Moments nicht Zweck an sich. Dennoch sind ihre Bilder von einer ästhetischen Innigkeit, die sie weit über die Absicht der Dokumentation hinaushebt. Unsere Idee von der Fremde hat sich verändert, und was einmal roh, schockierend, provokativ unschön wirkte, lanciert heute am Kitsch entlang. Ihre Bilder aus Mexiko haben diese Transformation überstanden, vermutlich, weil kalkulierter Effekt ihnen fremd ist. Sie wirken heute noch dem großen Einverständnis ebenso entgegen wie die Arbeit Gertrude Duby Bloms als Journalistin, Widerstandskämpferin, Ethnologin und schließlich als Verteidigerin der Rechte eines kleinen Mayavolkes. „Ich habe versucht, die Welt zu verändern“, sagt sie am Ende ihres Lebens, „und bin gescheitert. Erst kamen die Nazis, dann haben wir versucht, den Krieg zu verhindern, und der Krieg kam. Zuletzt wollte ich die Lakandonen und ihren Wald retten, aber jetzt ist wohl auch das verloren.“ Ihre Fotografien verraten wenig von dem Zorn, der ihren Bemerkungen eigen ist, allenfalls die Entschiedenheit ihrer Linien. Es sind, nicht nur aufgrund ihre Sepiatönung, sanfte Bilder: Hier brechen keine Sehgewohnheiten auf, hier werden sie überführt. (Damit erübrigt sich das berühmt gewordene Stöhnen eines Journalisten nach dem zehnten Festival der Neuen Fotografie: „Hilfe, ein Pflaster! Meine Sehgewohnheiten sind wieder aufgebrochen!“)

Das fotografische Werk der Sozialistin, als „Spionin“ aus dem faschistischen Italien ausgewiesen, aus dem faschistischen Deutschland im März 1933 geflohen und heute in Mexiko lebend, wurde in Hamburg beim „Festival der Frauen 1990“ erstmals umfassend gezeigt. Wir haben alle Abbildungen dieser Ausgabe dem Buch: Gertrude Duby Blom, Fotografien 1943-1983, Mexiko (198 S., DM 33) entnommen, erschienen im Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins.

In der letzten Literataz hauptsächlich Sachbuchbesprechungen, diesmal nur Literaturrezensionen. Eine ebenfalls in ihrer Sanftheit überraschende Ausnahme: Der Text von Gilles Deleuze über die Frage „Was ist Philosophie?“, den wir für diese Literataz übersetzen durften. In gewisser Weise korrespondieren dieser Text und die Fotografien miteinander, und mindestens letztere geben mir endlich Gelegenheit, einen Satz von Adorno zu zitieren, für den ich schon lange die passende schöne Stelle suchte: „Es ist ein Fehlschluß, was dauert, sei wahrer, als was vergeht.“

Die Lobesworte kurz vor Schluß: Das Layout dieser Ausgabe haben Gesine und Fran¿oise übernommen, und zwar (um einen der meistgehörten Halbsätze des Wahlabends zu zitieren) mit Augenmaß und Verantwortung. Dasselbe bewies das Satz- & Korrekturkollektiv dieser Zeitung, die sich einmal mehr als Expertin der Beschleunigung erwies.

Die Absicht, unsere fortdauernde Absenz zu den eigentlich wichtigen Themen der Zeit mit Hilfe eines Deutschlandgedichtes elegant zu kompensieren, schlug fehl, denn es gebricht an bündiger und dennoch nicht zu Tode zitierter Lyrik zu diesem Thema, das immer schon unerschöpflich war. So bleibt uns nur die gleichsam prinzipielle Bemerkung von Ernst Bloch: „Heimat ist, wo ich nie war“, die dann auch gleich für die Vorweihnachtszeit mit verwendbar ist. es