Es geht um mehr als die Verhinderung des Krieges

Von einem nationalen Konsens über die Frage einer Kriegserklärung kann in den USA keine Rede sein/ Ist die vielbeschworene „neue Weltordnung“ möglich, solange die USA weiterhin auf militärische Aktionen statt auf Wirtschaftssanktionen setzen?  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Mit dreimonatiger Verspätung zwar, aber deswegen um so heftiger, wird in den USA nun über die Golf-Politik der Bush-Administration gestritten. Wenn Präsident George Bush auch alle Anstalten macht, das Land wie Lyndon Johnson vor ihm ohne Kriegserklärung in einen unabsehbaren militärischen Konflikt zu verwickeln, dann haben ihm sowohl der Kongreß als auch die amerikanische Öffentlichkeit in den letzten Wochen eindeutig zu verstehen gegeben, daß wenigstens sie aus den Lehren Vietnams lernen wollen.

Vietnam ist in diesen Tagen überall: Wenn George Bush verspricht, es werde eben kein zweites Vietnam geben; wenn der Vorsitzende der Stabschefs, Colin Powell, mit einem massiven Truppeneinsatz von Anfang an die im Fernen Osten gescheiterte Eskalationsstrategie nun im Mittleren Osten vermeiden will; und wenn der damalige Verteidigungsminister Robert McNamara im gleichen Anhörungssaal des Kapitols, in dem ihn vor 26 Jahren Senator Fulbright der unverantwortlichen Kriegslust bezichtigte, nun seinerseits die Militärs von heute vor einer Wiederholung Vietnams warnt: „Ich glaube nicht“, so McNamara vor dem Senatsausschuß, „daß der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses zu militärischen Mitteln greifen sollte.“

Es geht hier, das haben viele Demokraten erst sehr spät begriffen, um mehr als die Verhinderung eines weiteren nutzlosen Krieges. Es geht darüber hinaus um die Festlegung der außenpolitischen Kompetenz zwischen der Exekutive (in der Gestalt des Oberbefehlshabers George Bush) und der Legislative, der Artikel I, Absatz 8 der amerikanischen Verfassung das Recht auf Kriegserklärung zuweist: „Der Kongreß erklärt den Krieg.“

Jener Streit wird im Augenblick auf Antrag von 54 demokratischen Abgeordneten vor den obersten Gerichtshof getragen. Der Eindeutigkeit der Verfassungssprache widersprechen hier über hundert Präzedenzfälle, in denen die Vereinigten Staaten in ihrer noch so jungen Geschichte im Ausland Truppen eingesetzt haben. Nur in fünf Fällen war dem eine offizielle Kriegserklärung vorausgegangen. Der drohende Golfkrieg bietet nun die juristisch einmalige Möglichkeit, die Verfassungsunsicherheit in dieser Frage ein für allemal zu beseitigen. So lange hatte man einen Krieg bisher noch nie kommen sehen. Meistens, von Vietnam bis Panama, hatte der Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte schon kriegerische Fakten geschaffen, ehe sich die Volksvertreter überhaupt versammeln konnten.

Doch schon vor dem Richterspruch hat die Klage der Demokraten eines deutlich gemacht: Von einem nationalen Konsens, der einer Kriegserklärung durch den Kongreß in jedem Falle zugrunde liegen sollte, kann in den USA nur 40 Tage vor Auslaufen des Ultimatums an Saddam Hussein keine Rede sein.

Ganz im Gegenteil, die anfängliche Unterstützung für George Bushs Golfpolitik ist spätestens seit der nach den Novemberwahlen verkündeten Verdopplung der US-Truppenstärke zusammengebrochen. Die Hearings, die in diesen Tagen vor insgesamt vier Parlamentsausschüssen durchgeführt werden, zeigen sogar deutliche Risse in den konservativen Reihen.

Nicht nur in innenpolitischen (Steuern und Budget), sondern auch in außenpolitischen Fragen beginnt die von Ronald Reagan zusammengeschweißte konservative Koalition langsam aber sicher auseinanderzubrechen. Da kam die erste Kritik an der Truppenentsendung überhaupt aus der Ecke rechter Isolationisten, die nach dem Ende des kalten Krieges nun eine geopolitische Selbstbeschränkung der USA predigen. Die Rolle der Weltpolizei, so das Argument, komme die Vereinigten Staaten zu teuer und schwäche nur deren wirtschaftliche Position im Vergleich zur globalen Konkurrenz.

Die traditionellen Republikaner aus den Nixon-, Ford- und Reagan- Administrationen kritisieren das überhastete Vorgehen der Bush- Riege am Persischen Golf dagegen mit pragmatischen statt mit ideologischen Argumenten. Bezeichnenderweise sind es die der politischen Loyalität enthobenen Generale von gestern, wie der ehemalige Vorsitzende der Stabschefs, William Crowe, die vor einer Überschätzung der militärischen Muskeln warnen; die Generale von heute sehen dagegen eher die einmalige Chance, den von Budgetkürzungen bedrohten Rüstungssektor durch einen schnellen Waffengang noch einmal retten zu können. Auch die in Krisen gescheiterten Politikberater, wie Jimmy Carters Sicherheitsberater Brzezinski, warnen vor den unbeabsichtigten politischen Nebenwirkungen eines US-amerikanischen Engagements im Mittleren Osten.

Die Bush-Administration scheint sich dagegen mit ihrem schmalen und unerfahrenen Beraterstab mindestens ebensoweit aus der Realität zurückgezogen zu haben, wie man es Saddam Hussein unterstellt. Dieser wird wenigstens durch CNN hinreichend über die Vorgänge in den USA unterrichtet. Bush dagegen, so ist jetzt bekanntgeworden, hatte vor der Invasion Kuwaits nicht einmal die Warnungen seines eigenen Geheimdienstes ernstgenommen.

Die Phalanx der Kritiker aus allen Lagern hat so in den letzten Tagen allen Interessenten die Schwächen in der Golfpolitik der Bush-Administration öffentlich vorgeführt. Ob die Widersprüchlichkeiten — die völlig inkonsistente Position zur Wirksamkeit der Sanktionen und die plötzliche Verwandlung der zur Verteidigung losgeschickten Truppen in eine Offensivstreitmacht — auf eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit schließen lassen, wie dies der friedensbewegte Vietnamkritiker Daniel Ellsberg vermutet, oder ob diese nur das Ergebnis einer allgemeinen Konzeptlosigkeit sind, welche die Bush-Administration in nahezu allen Politikbereichen auszeichnet, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. In jedem Fall handelt es sich bei der Golfpolitik des George Bush um ein gefährliches Spiel.

Geht alles gut, zieht sich Saddam Hussein erschreckt zurück, und lassen auch die Israelis von einem Präventivschlag ab, dann wäre George Bush trotz seines offensichtlichen Mangels an innenpolitischer Kompetenz seiner Wiederwahl im Jahre 1992 beinahe sicher. Mündet aber dieser von den USA hochgeschaukelte Golfkonflikt in eine kostspielige und politisch delikate Dauerpräsenz der US-Truppen am Golf oder gar in eine blutige Auseinandersetzung, dann könnte den Präsidenten daheim ein Sturm der Entrüstung womöglich noch vor 1992 aus dem Amt heben. Nach Vietnam, dem Iran und schließlich dem Irak wird sich in den USA dann auf absehbare Zeit kaum noch ein Konsens für militärische Abenteuer fern der Heimat finden lassen.

So geht es bei dieser großen Debatte in den Vereinigten Staaten letzten Endes auch um die zukünftige Rolle der USA in der von George Bush und anderen so vielbeschworenen „neuen Weltordnung“. „Ich weiß nicht“, so der vielleicht denkwürdigste Satz des vietnamerfahrenen Robert McNamara vor dem Außenpolitischen Ausschuß des Senats, „ob wir uns auf eine neue Weltordnung zubewegen, solange wir statt auf Wirtschaftssanktionen auch weiterhin auf militärische Aktionen setzen“.

„Kein Blut für Öl“ — Die Antikriegsstimmung in den USA wächst Foto:Reinhard Krumm