Lesen Sie Kafka?

■ Kafka soll sogar komisch gewesen sein — behauptet Ralph Gätke, Uni Oldenburg / Ein „Thesen“-Gespräch

Huuu, Franz Kafka, der labyrinthische! Jener, neben dem Golem, berühmteste Finsterling Prags, der über einsame Landärzte, im Morgengrauen Verhaftete, in Käfer Verwandelte schrieb und tausende von SchülerInnen gruseln ließ vor der Literatur. Ralph Gätke von der Uni Oldenburg ärgert das ziemlich. Weil, so Gätke, Kafka durchaus komisch war. „Komisch wie Franz Kafka“, hat er einen Aufsatz zu Kafka überschrieben. Haben Generationen von Literaturkritikern Kafka mißverstanden?

taz: Komik und Kafka — herzlich lachen möchte man da, so unvereinbar klingt das, wo einem bei Kafka nur noch Deutschlehrerworte wie kafkaesk einfallen.

Ralph Gätke: Unser ganzes Kafka-Bild ist ziemlich kafkaesk. Aber bei Durchsicht der Quellen, also Tagebücher und Briefe, sollte man stutzen, wenn man so einen Satz von Kafka liest wie: „Ich bin als großer Lacher bekannt“. Und wenn man die Max Brod-Biografie von Kafka liest, stolpert man dauernd darüber, daß Kafka ein Mann war, der viel gelacht und andere zum Lachen gebracht hat. Brod berichtet z.B. von einer Lesung im Prager Freundeskreis, wo Kafka das erste Kapitel vom „Prozeß“ vorliest: „So lachten wir Freunde ganz unbändig, als er uns das 1. Kapitel des Prozeß zu Gehör brachte. Und er selbst lachte so sehr, daß er weilchenweise nicht weiterlesen konnte“. Mir ist es schon immer so gegangen, daß ich Kafka komisch fand. Und das wollte ich einmal an den Textstellen beweisen. Darum der Aufsatz.

Was hat Sie daran gereizt, gerade Kafka als komisch zu entlarven?

In der Schule hab' ich Kafka eher lustlos gelesen. Und in der Universität war zu meiner Zeit Kafka kein Thema, da wurde Literatur mit historisch-materialistischen Mitteln angegangen. Ich habe irgendwann angefangen, Klassiker mit weniger Schüchternheit zu lesen. Und habe festgestellt, daß die unterhaltsam sein können. Die erste Geschichte, die ich dann von Kafka neu gelesen habe, war „Der Landarzt“. Und der erste verstörende Satz, der mir auffiel, war, als da ein fremder Knecht und zwei Pferde aus dem Schweinestall kriechen und der Landarzt dazu sagt: „Man weiß gar nicht, was man alles im Haus hat.“ Das ist doch komisch, wenn man mal — unbeeindruckt von den klassikerhaften Lese-Vorschriften — den Text plan an der Oberfläche liest. Natürlich war Kafka kein Gaudibursch. Aber z.B. in „Das Urteil“, in dem sich der Sohn auf das Urteil des Vaters hin von der Brücke stürzt — da sind so viele groteske Elemente drin! Etwa der Schlußsatz: „In diesem Moment ging über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr“. Gegenüber Max Brod gibt Kafka zu, „an eine starke Ejakulation gedacht“ zu haben. Bei solchen Kommentaren denke ich: so ganz ernst kann es dem Mann nicht sein.

Was sind Sie überhaupt für einer im Wissenschaftsbetrieb?

Ich bin Germanist und Anglist und wissenschaftlicher Bibliotheksreferent für Germanistik, d.h. ich statte den Studiengang Germanistik mit Büchern aus, kriege also sämtliche Neuerscheinungen auf den Tisch.

Also immer an der Quelle zu den Quellen. Haben sie neue zu Kafka entdeckt?

Das ist ja das Verwunderliche: Das sind alles bekannte Quellen, die kann jeder nachlesen — der einen unverstellten Blick hat! Wenn man dem düsteren Kafka begegnen will, dann geht man aber immer schon mit dem selektiven Blick ran.

Empfehlen Sie uns Kafka denn wirklich als Lesevergnügen?

Das sollte es werden. Die Komik ist auch gar nicht verstellt, sondern geradzu slapstickhaft. Z.B. im Prozeß. Diese Gerichte, vor denen Josef K. erscheinen muß, die sind ja auf den Dachböden der Stadt. Da sind Verteidiger nicht gern gesehen. Und da gibt es nun einen Wärter, der sich hinter die Eingangstür stellt und jeden eintretenden Advokaten die Treppe hinunterwirft: „Die Advokaten sammelten sich unten auf dem Treppenabsatz und berieten, was sie tun sollten. Immer wieder wurde ein Advokat ausgeschickt, der die Treppe hinauflief und sich dann unter möglichstem, allerdings passiven Widerstand hinunterwerfen ließ, wo er dann von den Kollegen aufgefangen wurde.“ Das ist doch wie in einer Slapstickkomödie!

Was ist eigentlich Komik?

Komik entsteht, denke ich, wenn unvereinbare Gegensätze aufeinandertreffen. Bei Kafka ist der Widerspruch, daß seine Figuren in absurden Szenerien absolut gewissenhaft und mit Logik agieren.

Ist Kafka für Sie jetzt vom Sockel gerutscht?

Auffen Thron gehört er immer. Aber ich bin unbefangener ihm gegenüber geworden. Das Bild rutscht natürlich vom Sockel, das ja zu einer Ergriffenheitsstarre führt.

Kafka bietet sich als Folie für düstere Interpretation aber durchaus an.

Die meisten Interpreten sind dunkler als Kafka. Ich finde Kafka ja eher klar. Ich habe irgendwo gelesen, Kafka-Romane seien die Rorschach-Tests der Literatur, das stimmt wahrscheinlich. Da kann jeder mal machen: Hast du den richtigen Schlüssel für den Text, dann kommst du damit rein. Ich habe den Eindruck, daß Literaturwissenschaft Literatur immer auf Sinn reduziert. Und wenn da Passagen drin sind, die sozusagen unrein sind, grotesk, chaplinesk — dann wird das gerne gewaltsam in ein Sinngefüge gestopft. Für mich ist die erste Frage immmer: Was ist so'n literarischer Text. Da sollte man doch rausfinden, was der Autor eigentlich gemeint hat...

Oje, etwa: Was will uns der Autor damit sagen?

Ein sehr verlachter Satz, aber ich möchte trotzdem gerne zuerst eine autorengerechte Interpretation eines Textes haben. Da ist immer die Angst dahinter, daß Literatur etwa Lebenshilfe sei. Aber man hofft doch auf zündende Einsichten, die einen ein bißchen umkehren. Fragen: claks