King Kongs kleiner Bruder

■ Die Halbschwergewichts-Boxer Graciano Rocchigiani und Henry Maske nach Punktsiegen weiter ungeschlagen

Charlottenburg. Graciano Rocchigiani hat's schon schwer. Keine Wohnung, eine drohend über ihm schwebende Knaststrafe, keine Sparringspartner und dazu ein Gegner, der mit allen Wassern des Profiboxens gewaschen ist. Und dann sitzt er nach hart erkämpftem Punktsieg schwer gezeichnet und ausgepumpt in seiner Kabine, und was fragen ihn die eifrigen Reporter des Ostens als erstes: Was er denn zur Entwicklung Henry Maskes sage? Da legt selbst der früher so maulfaule, mittlerweile aber fast zum angenehmen Plauderer gereifte Ex-Weltmeister wieder die alte Bärbeißigkeit an den Tag: »Maskes Probleme interessieren mich nicht. Ich habe selber genug.«

Einige davon gab ihm Mike Sedillo, US-Bürger mexikanischer Herkunft, auf, der ohne Amateurkampf »von der Straße« (Sedillo) ins Profilager gewechselt war und sich schon gegen die Weltmeister Moorer und Hill achtbar geschlagen hat. Angetan mit Poncho und Stirnband betrat er den Ring wie ein direkter Nachfahre von Emiliano Zapata und brachte mit seinen schwarz-roten Boxershorts einen Hauch von Tierra y Libertad in die Halle. Wider Erwarten sang er dann aber doch nicht Cielito lindo, sondern erwehrte sich gekonnt der Attacken Rocchigianis. In der fünften Runde erwischte er den Berliner mit einem rechten Haken, und unter dessen linkem Auge öffnete sich eine häßliche Platzwunde. Nach einem weiteren Treffer nahm Graciano allmählich das Aussehen von King Kongs kleinem Bruder an, führte aber dennoch deutlich nach Punkten, obwohl die meisten seiner Schläge auf Sedillos exzellenter Deckung verpufften und dieser bis zum Schluß wirkte, als käme er gerade aus einem Kosmetikinstitut.

»Wie siehst du denn aus«, jammerte Rocchigianis Freundin, die ihn die ganze Zeit lautstark und sprachmächtig angefeuert hatte (»Volle Kanne da rin, ey«), nach Schluß des Kampfes. Der Geprügelte selber wiegelte ab: »Ich sehe schlimmer aus, als es war. Ich habe bloß zwei Dinger gefangen, die nicht sein müssen.«

Rocchigiani-Manager Wilfried Sauerland war gar nicht mal unzufrieden damit, daß sein talentiertester Mann solche Schwierigkeiten hatte. Dies nämlich steigere die Chance, im nächsten Jahr einen WM-Kampf an Land zu ziehen, weil die amtierenden Champs nun weniger Angst um ihren Titel hätten. Voraussetzung ist allerdings, daß Rocchigiani im Januar bei der Wiederaufnahme seines Verfahrens im Zusammenhang mit einer Mädchenhandelsaffäre freigesprochen wird oder mit einer Bewährungsstrafe davonkommt. Sollte dies nicht der Fall sein, ruht Sauerlands ganze Hoffnung auf seinem zweiten Boxjuwel, dem Amateurweltmeister und Olympiasieger Henry Maske. Der gewann auch seinen siebten Profikampf souverän, schaffte es jedoch nicht, den routinierten Glazz Campbell entscheidend zu treffen. »Er hat mir meine Aufgaben gestellt«, meinte Maske beeindruckt, »das war ein professioneller Boxer — Jab, Punch, Verschleiern; war alles gegeben.« Glazz Campbell habe ihm ein paar Grenzen aufgezeigt.

Neue Munition für jene, die beharrlich versuchen, den Fäustling aus Frankfurt/Oder als Langweiler und ewigen Amateur hinzustellen. Der selbstkritische Maske, der sich gern alte Kämpfe wie Hagler-Hearns anschaut und dabei überlegt, ob er gegen solche Leute überhaupt »Lösungsvarianten« hätte, gießt selber reichlich Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker, indem er immer wieder betont, was ihm noch alles fehle. Er mache halt keine Sprüche wie Weller oder Bott, sagt er, verwahrt sich aber strikt gegen den gängigen Vorwurf, ein öder Defensivboxer zu sein. Er habe bisher in allen seinen Profikämpfen angegriffen, »aber wahrscheinlich wird unter offensiv verstanden: die Fäuste hängenlassen und alles nehmen, was kommt«. Rocky Lieske