■ TV-SPLITTER
: Viele schalten den Apparat nur ein,um abzuschalten

Man kann beim Fernsehen auch lesen. Und bei vielen neueren und älteren Büchern kann man auch fernsehen. Man kann beim Fernsehen inzwischen fast alles tun, nur eines nicht: zuhören. Ich weiß nicht ganz genau, wie man die Einschaltquoten ermittelt. Wie wenig sie wirklich bedeuten, weiß ich ziemlich genau. Denn wie viele von uns schalten den Fernseher überhaupt nur ein, um abzuschalten. Die zu diesem Zweck produzierten Unterhaltungssendungen erfüllen ihren Zweck sehr gut. Sie stören bei nichts. Unterhaltung ist ja wohl im deutschen Sprachraum nur ein anderes Wort für Abschalten.

Nun wetteifern aber offensichtlich fast alle Fernsehredaktionen im Kampf um den Unterhaltungswert ihrer Sendungen. Wann die Wetterkarte gesungen wird, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Die Politiker haben nach den Wahlen natürlich viel von ihrem Unterhaltungswert verloren, obwohl ihr öffentlicher Wahlkampf nichts gewesen sein dürfte gegen den heimlichen Kuhhandel danach. Daß sie am Abend nach der Wahl überhaupt noch vor die Kameras gezerrt wurden, erschien mir schon wie reine Verliererquälerei. Die einzige Überraschung des Abends: Die Verlierer gestanden ihre Niederlage schon vor den ersten Hochrechnungen ein. Sie wollten wohl endlich hinter sich haben, wovon sie schon zu lange wußten, daß sie es vor sich hatten. Mühsam versuchen wenigstens die Journalisten etwas zu halten, was gar nicht da war — die Spannung.

Denn Spannung muß sein auf dem Bildschirm. Wie aber ist der durch den alltäglichen Bürgerkrieg auf Deutschlands Autostraßen verwöhnte Zuschauer noch an den Bildschirm zu fesseln?

Die wirklichen Katastrophen, die uns bedrohen, gehen einfach zu langsam vor sich, um damit Zuschauer oder auch nur Wahlen zu gewinnen. Spiegel-TV beweist zwar manchmal noch, wie man durch schnelle Schnittfolge aus langweiligem Elend doch noch die eine oder andere Sensationsbildfolge zusammenstellen kann. Aber die Spannung läßt auch hier schnell nach, wenn man die allzu schnelle Masche erst erkannt hat. Langweilige Ausnahmen bestätigen allerdings auch im Fernsehen die sensationelle Regel. Da gab es am letzten Freitag auf N3 (nur SFB) in der Reihe Profile einen Mann zu hören und zu sehen, der ohne Sensationen, die er vermutlich weiß, preiszugeben, von etwas sprach, was im Sensationswarenhaus der Medien fast schon in die Unterhaltungsetage gehört — von den Stasi-Akten.

Joachim Gauck ist alles andere als eine Sensation. Er ist ein nachdenklicher Mensch, der im Zusammenhang mit der Stasi etwas zum Thema Mensch zu sagen hatte. Er sprach nicht nur von den Schwierigkeiten im Umgang mit den Akten, sondern auch von den Schwierigkeiten im Umgang der Ostmenschen mit den Westmenschen und umgekehrt. Die Sendung dauerte fast eine Stunde, es gab keinen Toten, keine Enthüllung, keine Unterhaltungseinlage.

Die einzige Sensation — ich denke heute noch über das nach, was Gauck vor einigen Tagen sagte. Peter Ensikat