Maßnahmengesetz

■ Töpfer will Verfassungsrecht aufheben, um Straßenbau in der Ex-DDR zu beschleunigen KOMMENTARE

Kaum ist der Rechtsstaat in der ehemaligen DDR eingeführt, soll er an einem zentralen Punkt außer Kraft gesetzt werden: Die Verfassungsgarantie, daß jeder, der von staatlichen Maßnahmen betroffen ist, diese vor einem Verwaltungsgericht anfechten kann, wird in Bonn gerade zum Gegenstand von Koalitionsverhandlungen gemacht. Ausgerechnet der derzeitige und wohl auch zukünftige Umweltminister Klaus Töpfer fordert, beim Ausbau der Fernstraßen und Autobahnen in der alten DDR nicht nur die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung der Umweltverträglichkeit, sondern auch die Möglichkeit auszusetzen, wegen geplanter Straßenbauten das Verwaltungsgericht anzurufen. Geschehen soll das mit Hilfe eines Maßnahmengesetzes — ein Gesetz also, das die Exekutive stärkt, Gewaltenteilung und Sicherheit vor staatlicher Willkür hingegen einschränkt.

Viele Deutsche in der ehemaligen DDR sind mit dem Maßnahmenstaat, der geltende Rechtsnormen ganz oder teilweise außer Kraft setzt, seit 60 Jahren, nämlich seit den Notverordnungen Brünings, bestens vertraut. Die überwältigende Mehrheit der Ostdeutschen giert förmlich nach neuen Betonschneisen. Allenthalben sind die Vermessungstrupps unterwegs. Auf der Strecke bleiben allerdings die Entwicklung eines neuen Verhältnisses zwischen Individuum und Staat sowie ökologische Vernunft und Rechtssicherheit, das also, was jene Bürgerbewegung in der ehemaligen DDR eingeklagt hat, die Töpfer nun fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Das geplante Maßnahmengesetz der Betontechnokraten in CDU und FDP ist nicht nur ein offener Affront gegen die seit jeher grün eingefärbte Bürgerrechtsbewegung; das Gesetz ist auch gegen die dritte Gewalt selbst gerichtet: Die bundesdeutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit folgte in den letzten zehn Jahren immer häufiger der Logik des Rechtes und nicht zwangsläufig der Räson des Staates. Nicht selten sind Verwaltungsgerichtsentscheidungen bürgernah und bürgerfreundlich, mithin gegen die Bürokratien.

Bleibt die Frage, warum ausgerechnet der Umweltminister den Straßenbau brachial beschleunigen will. Möglicherweise soll Töpfers Ressort um Raumordnungs- und Raumplanungskompetenzen aus dem Bundesbauministerium und Zuständigkeiten für Straßenbau aus dem Verkehrsministerium erweitert werden. Da die Raumplaner aus der ehemaligen BRD die ehemalige DDR als Tabula rasa sehen, die einer völligen Neuordnung unterworfen werden soll, würde Töpfer auf diese Weise gegenüber den fünf neuen Bundesländern zu einem der mächtigsten Bonner Minister werden. Daß der oberste Umweltschützer diesen Machtzuwachs zum Nachteil von Ökologie und Recht einsetzen möchte, verdient festgehalten zu werden. Götz Aly