Berliner SPD startet in Schwarz-Rot

Auf einem Sonderparteitag beschlossen die Berliner Sozialdemokraten, in Koalitionsverhandlungen mit der CDU einzutreten/ Momper übte ein wenig Selbstkritik und wird Landesvorsitzender bleiben  ■ Aus Berlin Kordula Doerfler

Eine große Koalition in Berlin ist seit Samstag wieder ein Stück nähergerückt: Auf einem Sonderparteitag der Sozialdemokraten beschloß die große Mehrzahl der 320 Delegierten, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen.

Zur Begründung führen die schwer gebeutelten Sozialdemokraten, die bei den ersten Gesamtberliner Wahlen seit 1946 ihr schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte erzielten, an, die Stadt brauche jetzt eine handlungsfähige Regierung. Sämtliche Anträge auf eine Tolerierung eines CDU-Minderheitssenats wurden abgelehnt. Bei den Wahlen am vergangenen Wochenende hatte überraschend die CDU unter dem früheren Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen einen haushohen Sieg davon getragen, die SPD war dafür auf 30 Prozent abgesackt. Trotzdem fehlen CDU und FDP drei Mandate zur Mehrheit.

Die Berliner SPD steckt nach ihrem vernichtenden Abschneiden in einer schweren Krise. Das bereits zwei Wochen vor der Wahl gescheiterte rot-grüne Bündnis mit der Alternativen Liste sei postum klar und deutlich abgewählt worden, die SPD müßte ebenso wie ihr Ex-Partner die Oppositionsbank drücken. Diese Erkenntnis wagten auf dem Parteitag nur wenige auszusprechen, die sich wie das Altväterchen der Linken, Harry Ristock, ganz dezidiert gegen eine schwarz-rote Koalition stellten. Die Mehrzahl der Delegierten, noch völlig paralysiert von dem Ergebnis, fand nur beschwörende Worte für die große Verpflichtung, die dennoch auf der SPD laste: Gemeinsam mit der CDU eine breite, handlungsfähige Regierung zu bilden, die die Stadt durch die schweren Zeiten nach der Vereinigung führen soll. Insbesondere von seiten der Ost-Delegierten, die zwar auf dem Parteitag nur ein Fünftel der Delegierten stellen, in der neuen Fraktion aber fast die Hälfte der Mandate haben, wurden keinerlei Bedenken gegen eine schwarz-rote Koalition vorgetragen. Schließlich, so wurde immer wieder betont, habe man seit den Kommunalwahlen im Mai schon erfolgreich ein solches Bündnis vorexerziert.

Die Krise der Partei konnte auch ihr Vorsitzender, der geschlagene Regierende Bürgermeister Walter Momper, nicht mehr wegreden. In seiner Eröffnungsrede gab er zu, daß es auch für ihn eine bittere Stunde sei. Momper, der einen Tag nach der Wahl die Schuld für das schlechte Ergebnis allein der AL in die Schuhe geschoben hatte, fand in seiner Rede auf dem Parteitag etwas mehr selbstkritische Worte. „Der entscheidende Fehler war, daß wir die Berliner Öffentlichkeit in diesem historischen Jahr der Wiedervereinigung vor allem mit koalitionsinternen Streitfragen beschäftigt und belastet haben“, so Momper.

Es sei nicht gelungen, für das rot- grüne Reformprojekt eine gesellschaftliche Mehrheit herzustellen, und der Senat habe sich in einer „Art von Besserwisserei von der Mehrheit der Bevölkerung enfernt“. Zwar rügte Momper erneut die Alternative Liste, die sich in den 20 Monaten des Bündnisses nicht weiter entwickelt habe, rückte aber von seinem anfangs der Woche geäußerten Urteil wieder ab, Rot-Grün sei ein „auslaufendes Modell“. Momper zog sich jetzt auf die Position zurück, „mit dieser AL, einer Sammlungsbewegung“ sei Rot-Grün nicht mehr möglich. „In anderen Bundesländern mag dies anders sein.“

Der Noch-Regierende empfahl den Delegierten, für die große Koalition zu stimmen, ließ jedoch erkennen, daß er ihr vermutlich nicht angehören wird. In seiner Rede sprach er sich auch für eine Trennung von Amt und Mandat aus — noch auf einem Parteitag im Sommer, als es um die Nominierung des Spitzenkandidaten ging, hatte er den Versuch der Basis, diese seit langem umstrittene Verknüpfung zu lösen, abgeblockt. Er halte den Parteivorsitz für eine zentrale Aufgabe. „Die Partei braucht jetzt eine Führung, die sich ihr ganz widmen kann“, um die östlichen und westlichen Kreise zusammenzuführen. Jeglicher Debatte um seine Person und seinen oft kritisierten Führungsstil nahm Momper dadurch die Spitze.

In der Generalaussprache zu seiner Rede wurde nur vereinzelt an ihm Kritik geübt, statt dessen stellte sich angesichts der schwierigen Lage der Partei ein Solidarisierungseffekt vor allem seitens der Ostler her, den Spitzenkandidaten jetzt nicht für alles verantwortlich zu machen. Die Personaldebatte, die seit dem Wahlabend hinter den Kulissen bereits voll entflammt war, hat damit zumindest einen Trend erhalten. Momper wird sich auf den Parteivorsitz zurückziehen und weder den Fraktionsvorsitz noch den Bürgermeisterposten beanspruchen. Für beides kommt der ehemalige Fraktionschef Ditmar Staffelt in Frage.

Für den Eintritt in die große Koalition wurde ein Katalog von „Essentials“ beschlossen, die im wesentlichen auf dem Wahlprogramm der SPD beruhen. Zentrale Konfliktpunkte werden die innere Sicherheit, Frauenförderung und der Paragraph 218 sein. Heute will die SPD ihre Verhandlungskommission benennen, die erste Runde wird vermutlich am Mittwoch stattfinden.