Mühsame grüne Suche nach dem Neubeginn

Der kleine Parteitag der Grünen ringt um Einigkeit/ Strukturreformen sollen aus der Krise führen/ Parteitag soll statt nach vorne nach hinten verschoben werden/ Einseitige Schuldzuweisungen der Srömungsvertreter für Niederlage zurückgewiesen  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Die Grünen“, verlangte der Redner, „müssen Utopie und Reformschritte in ein gemeinsames Konzept bringen.“ Dafür kann man normalerweise des Beifalls sicher sein. Daß der Redner für seinen Beitrag bittere Empörung erntete, lag in der Person begründet. Der Frankfurter Radikalökologe Manfred Zieran, ansonsten gnadenloser Kritiker jeder Reformpolitik und einer der Scharfmacher im Linienstreit, hatte nach seinem Wahlaufruf für die PDS zu offensichtlich Kreide gefressen. Von der Mehrheit in der Partei für das Wahldebakel verantwortlich gemacht und konfrontiert mit Ausschlußforderungen aus Realo-Kreisen, beschworen Zieran und Jutta Ditfurth nun plötzlich das breite Stömungsbündnis. Selbst ein Friedensangebot an den bislang als rechtskonservativ befehdeten „Aufbruch“ fand sich bei Zieran.

Auch in der Niederlage, so offenbarte sich bisweilen bei dem zweitägigen Treffen des Bundeshauptausschusses, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, rangiert die Taktik noch vor der Ehrlichkeit. In der vielstündigen Debatte über die Gründe des Wahldebakels bemühte man sich oberflächlich um Einigkeit, doch mehr als eine ziellose Sammlung von Symptomen kam nicht heraus. Zeitweise kam der Eindruck auf, viele der Delegierten näherten sich wie in einer Gesprächstherapie erst langsam der Niederlage an. In einer mühsam abgestimmten Entschließung wurden einseitige Schuldzuweisungen für die Niederlage zurückgewiesen sowie eine Reform der Strukturen und „inhaltliche Neuorientierung“ gefordert. Dem insbesondere von hessischen Realos zum Rücktritt aufgeforderte Bundesvorstand wurde das Vertrauen ausgesprochen.

Ein Parteitag mit Strukturbeschlüssen soll spätestens bis Anfang April durchgeführt werden — also erst nach den Landtagswahlen in Hessen und Rheinland-Pfalz. Ein baldiger Parteitag, so wird befürchtet, könne die eigenen Wahlchancen weiter schmälern, weil die Grünen nicht die für einen medienwirksamen Neuanfang notwendige Geschlossenheit hinbekämen.

Neben strukturellen Reformen — Stichworte: Kontinuität von Personen, die Veränderung von Bundesvorstand, Bundeshauptauschuß (BHA) und Bundesgeschäftsstelle — wurde eine inhaltliche Erneuerung als nicht minder wichtig eingestuft. Weitgehend war man sich einig, daß die Grünen durch den brutalen Strömungsstreit und jahrelange personelle Auszehrung an Glaubwürdigkeit verloren hätten.

Der Niedersachse Helmut Lippelt, einst Mitschöpfer der Strukturen, sprach von der „organisierten Unverantwortlichkeit“ und davon, daß die Grünen mit ihrem „Parteityp gescheitert“ seien. Lippelt nannte eine Strukturreform für einen Aufschwung wichtiger als alle inhaltlichen Korrekturen. Eine „bleierne Müdigkeit und gegenseitiger Überdruß“ seien nicht durch eine oberflächliche Strukturreform zu beheben, hielt der ehemalige Vorstandssprecher Ralf Fücks (Aufbruch) dagegen. Die Aufbruch-Sprecherin Antje Vollmer deutete ihre Entschlossenheit zum Verlassen der Partei an, falls bei der Reform statt eines „deutlichen Rucks“ nur „halbe Schritte“ herauskämen.

Vorstandssprecherin Heide Rühle, die die Radikalökologin Jutta Ditfurth ein „auslaufendes Modell“ nannte, beklagte einen Verlust der Außenwahrnehmung und fügte hinzu, die Grünen stritten „nicht um Antworten, sondern nur um die Machtverteilung der Strömungen“.

Der Bundesvorstandssprecher Hans-Christian Ströbele verteidigte die Wahlkampfstrategie; allerdings sei eine richtige Politik nicht immer auch erfolgreiche Politik. Die Sicht, gegen eine Deutschlandeuphorie seien die Grünen nicht mit ihren Themen durchgedrungen, nannte Sprecherin Heide Rühle falsch: Grüne Themen hätten eine Rolle gespielt, doch hätten die Grünen diese hilflos den anderen Parteien überlassen. Die für die DDR-Grünen in den Bundesvorstand gewählte Christiane Weisske kritisierte, die Grünen hätten sich viel zu wenig der sozialen Herausforderungen im vereinten Deutschland gestellt.

Wenig wurde nach vorne gedacht. Was es bedeute für die Grünen, daß die SPD „mit einem Abklatsch grüner Realpolitik einen katastrophalen Einbruch erlebt“ habe, wie der Realo-Hardliner Udo Knapp aufwarf, blieb undiskutiert. Gleiches galt für Aufbruch-Sprecher Ralf Fücks, der fragte, ob die rot-grüne Option nach dem Ende der alten Bundesrepublik überhaupt noch ein mehrheitsfähiges Projekt sei.

Wie oberflächlich der Wille zum Neuanfang ist, deutete sich am Samstag abend an. Alle vorher beschworene Einigkeit war vergessen, als man sich über den Hamburger Konflikt in die Haare geriet. Der Appell des BHA, die GAL und das abgespaltene „Grüne Forum“ sollten noch einmal gemeinsam nach einer Lösung suchen, führte zum Auszug der GALier, zu Sitzungsunterbrechung, vielen Tränen und Vorstandsschlichtungen: Da waren sie wieder, die wahren Grünen.