„Mordthese“ vom Tisch?

■ RAF-Aussteigerinnen bestätigen Selbstmord der drei führenden Gefangenen im Oktober 1977

Berlin (taz) — Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe haben sich in der Nacht zum 18. Oktober 1977 im „Toten Trakt“ von Stuttgart-Stammheim das Leben genommen. Die These vom Häftlingsmord ist nach Aussagen der in der früheren DDR festgenommenen RAF-Aussteigerinnen, Susanne Albrecht und Monika Helbing, in sich zusammengebrochen, schreibt der 'Spiegel‘. Gegenüber der Karlsruher Bundesanwaltschaft (BAW) hätten die beiden ehemaligen RAF-Mitglieder angegeben, die Selbstmordaktion sei RAF-intern unter der Bezeichnung „Suicide Action“ gelaufen. Damit sollte die Politik der RAF „in der Öffentlichkeit glaubwürdiger“ gemacht werden, zitiert der 'Spiegel‘ die inhaftierte Monika Helbing. Die Gefangenen hätten in einer letzten verzweifelten Aktion ihre These vom Fortbestand eines „faschistischen Staates“ in Deutschland belegen wollen. Als Quelle für ihre Version der Stammheimer Vorgänge hätten sowohl Albrecht als auch Helbing das RAF-Mitglied Brigitte Mohnhaupt genannt.

Nach Darstellung des Hamburger Magazins war der gemeinsame Selbstmord — von den vier Inhaftierten überlebte nur Irmgard Möller schwer verletzt die Nacht zum 18.Oktober 1977 — sogar von vornherein für den Fall geplant, daß ihre Befreiung scheitern würde. Nachdem der entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nicht gegen inhaftierte RAF-GenossInnen ausgetauscht und die gekaperte Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu gestürmt worden war, hätten die Gefangenen keinen anderen Weg mehr gesehen, „um die Politik der RAF weiter voranzutreiben“. Ob die Aussagen von Albrecht und Helbing den Schluß tatsächlich tragen, die Selbstmorde seien — sozusagen als letzter Eskalationsschritt — von langer Hand vorbereitet gewesen, ist nach Informationen der taz selbst innerhalb des Sicherheitsapparats umstritten. Dies sei „ein weites Feld für Spekulationen“, hieß es aus Kreisen des Verfassungsschutzes.

Die BAW als Vernehmungsbehörde hatte sich vor einigen Monaten nach heftigem internen Gerangel dagegen entschieden, den Tenor der Aussagen Albrechts und Helbings zu den Stammheimer Ereignissen selbst zu veröffentlichen. Letztlich setzte sich das Argument durch, dies rieche nach Rechtfertigung, obwohl die „Mordthese“ nur noch von einigen hundert Personen überhaupt vertreten werde. Die Todesfälle von Stammheim konnten bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Zahlreiche Einzelheiten der Vorgänge in der Nacht zum 18. Oktober blieben offen oder wurden von den Ermittlungsbehörden falsch rekonstruiert. gero