Musikpiraten „on the Air“

Neben Piratenradios mit politischem Sendungsbewußtsein mehren sich die „freien Musikradios“/ Vorzugsweise auf Mittelwelle/ Von Disko über Oldies bis hinzu Independent-Musik und wenig Worte  ■ Von Harald Kuhl

Während es um die hiesigen freien Radios mit politischem Hintergrund wie zum Beispiel Radio Pflasterstein oder Radio Zebra nicht zuletzt wegen der intensiven Verfolgung der Betreiber durch Polizei und Postbehörden eher ruhig geworden ist, sind die sogenannten Musikpiraten nach wie vor „on the Air“, und das bei steigender Tendenz. Im Unterschied zu den politischen freien Radios, die auf UKW gleich neben dem heimischen ARD-Sender zu hören waren, senden die Musikpiraten auf Kurzwelle, die für die Inlandsversorgung zumindest in Europa kaum noch eine Rolle spielt.

An jedem Wochenende oder Feiertag, vorzugsweise jedoch am Sonntag bis zum frühen Nachmittag, werfen Stationen wie Radio Marabu, Radio Galaxy, Südwest Radio, Radio Chaos oder Radio Karibu ihren Sender an und machen Programm. Verwendet werden dabei schon seit Jahrzehnten vorzugsweise Frequenzen oberhalb des 49-Meter-„Europabands“ (ungefähr 6.200 bis 6.350 kHz), und die deutschen Stationen teilen sich den Frequenzbereich mit Sendern vor allem aus Großbritannien, den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Die Kurzwelle erlaubt es, mit recht geringer Sendeleistung eine vergleichsweise große Reichweite bei akzeptabler Empfangsqualität zu erzielen. Radio Waves aus Frankreich beispielsweise ist beinahe jedes Wochenende in ganz Europa zu hören. In Irland und Großbritannien nahm die Zahl der regelmäßig aktiven freien Musikradios derart zu, daß nun empfindliche Strafen für solche Verstösse gegen das staatliche Rundfunkmonopol verhängt werden.

Um den Verfolgungen durch die Behörden zu entgehen, senden die meisten Stationen nur unregelmäßig alle paar Wochen zu verschiedenen Zeiten und keinesfalls nach einem festen Plan ihr Programm von wechselnden Standorten zum Teil auch aus dem benachbarten Ausland. Wird ein Sender doch zu regelmäßig und vielleicht gar aus dem heimischen Wohnzimmer betrieben, stehen irgendwann die Postbehörden vor der Tür. Erst kürzlich nahm der Funkkontrollmeßdienst der Bundespost ein neues Kurzwellenpeilsystem in Betrieb, das eines der leistungsfähigsten sein dürfte, das zur Zeit erhältlich ist. Ist man also angepeilt worden, dann erwartet den Betreiber des Senders die Beschlagnahmung seiner Geräte und eine Geldstrafe von um 1.000 D-Mark. Trotz dieser eher trüben Aussichten nimmt die Zahl der aktiven Stationen zu, und bei entsprechender Vorsicht bleibt man auch unbehelligt.

Zum Einsatz kommen oft umgebaute alte Amateurfunksender, die für etwa 300 D-Mark gehandelt werden, oder selbstgebaute Geräte. Man braucht dann nur noch eine alte Autobatterie als Stromversorgung, ein Stück Draht als Antenne und ein zuvor produziertes Programm vom Rekorder, und schon ist man Betreiber einer Rundfunkstation. Gesendet wird hauptsächlich Musik, und die Formate reichen von Disko über Oldies bis hin zu Independent. Wortbeiträge dienen eher der Umrahmung des Musikprogramms, und einige Stationen geben sich betont unpolitisch, wohl um kein gesteigertes Interesse der Behörden zu provozieren.

In den USA, wo es ebenfalls zahlreiche freie Radios auf Kurzwelle gibt, ist man weniger rücksichtsvoll, und einige Stationsbetreiber greifen in ihren Programmen auch politische Themen auf. Überhaupt gibt es in den USA mehr Stationen, deren Programmschwerpunkt nicht bei der Musik, sondern bei Wortbeiträgen liegt. Allen freien Radios gemeinsam ist hingegen, daß keinerlei kommerzielle Interessen hinter ihrem Treiben steht.

Während die freien Musikradios früher lieber für sich blieben, wird nun der Kontakt zueinander und mit den Hörern gesucht. Schon zum zweiten Mal fand in diesem Jahr ein Treffen der freien Radios im Saarland statt. Ein weiteres solches Treffen vor einigen Wochen in Westfalen war ein großer Erfolg, und es soll auch 1991 wieder durchgeführt werden. Solche Veranstaltungen sind anscheinend auch für die Behörden von großem Interesse, denn beim ersten Free Radio Treffen im Saarland im vergangenen Jahr erschienen nach Sondierung des Geländes durch Beamte in Zivil Polizei- und Postbehörden, um ohne Erfolg nach verbotenem Gerät zu suchen.

In den USA hat soeben in dem führenden Szenemagazin eine Diskussion darüber begonnen, wie man eine Änderung der Fernmeldegesetzgebung für eine Legalisierung der freien Radios durchsetzen kann. Man zielt auf eine Regelung, wie sie auch für den CB-Funk, für den man keine Lizenz benötigt und der heute auch in Europa verbreitet ist, erreicht wurde. Ob es eine solche Regelung jedoch jemals geben wird, ist mehr als fraglich. Also betreibt man auf beiden Seiten des Atlantiks weiterhin aus Freude am unabhängigen Radiomachen die Kleinstsender ständig in der Gewißheit, daß die Post mithört und man vielleicht gerade angepeilt wird.