Die Parkplatzrevolution frißt ihre Kinder

Heute beginnt in München der umstrittene, mit sechs Millionen Dollar dotierte Grand Slam Cup/ Zähneknirschen bei der Spielergewerkschaft ATP: Hartes Geld machte Spielerbeine weich/ Nur Becker, McEnroe und Wilander proben den Aufstand  ■ Aus München Matti Lieske

„O tempora, o mores!“ Wie sich doch die Zeiten ändern. Das „große abendländische Schisma“, das die Kirche 39 Jahre lang aufs Schärfste entzweien sollte und zeitweise drei Päpste gleichzeitig auf den Plan rief, nahm seinen Ausgang anno 1378 noch stilvoll in prächtig ausstaffierten Räumen der Konklave von Rom und Fondi. Das Schisma, das seit einem Jahr einen nicht minder bedeutungsvollen Bereich des menschlichen Lebens spaltet, hatte seinen Ursprung hingegen auf einem schnöden, weltlichen Parkplatz in New York.

An diesem prosaisch-miefigen Versammlungsort fanden sich im September 1987 fast vollzählig die hundert besten Tennisprofis der Welt ein und proklamierten ihre Abkehr von der „International Tennis Federation“ (ITF). Chefaufwiegler war der Schwede Mats Wilander, das Ziel der geldschweren Gewerkschafter vom Spielersyndikat ATP ließ sich leicht auf einen Nenner bringen: „Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich“ ('Spiegel‘). Der Streß der Tennistour hatte besonders für die Spitzenspieler, die häufig bis zum Turnierende dabei sind, so zugenommen, daß fast alle an Verschleißerscheinungen und Verletzungen litten. „Mit dreißig sehen manche von uns schon aus wie fünfzig“, wußte Boris Becker zu vermelden.

Aufstand auf dem Parkplatz

Immer wieder hatten sich die Tenniscracks mit den Forderungen nach mehr Mitspracherecht, weniger Pflichtturnieren und einem zweimonatigen Urlaub am Jahresende an die ITF gewandt. Die hatte sie jedoch, von Funktionärsdünkel und Selbstherrlichkeit verblendet, stets wie dumme Jungen abgekanzelt. 1987 in Flushing Meadow verweigerte die Turnierleitung der ATP sogar einen Versammlungsraum, und so kam es zur historischen Gewerkschaftssitzung auf dem Parkplatz von Flushing Meadow, wo die Top 100 minus Lendl ihren Forderungskatalog signierten und der ITF androhten, die Organisation der Tennistournee selbst in die Hand zu nehmen.

Die alten Tennisgranden um den französischen Präsidenten Philippe Chatrier und die Direktoren der vier Grand-Slam-Turniere nahmen die Parkplatzrevolte jedoch nicht weiter ernst und wiesen die „Kriegserklärung“ der Profis brüsk zurück. Als sie schließlich merkten, wie rasch ihre Felle davonschwammen, und hektisch Verhandlungsbereitschaft signalisierten, war es zu spät. Beim Masters 1988 stellte die ATP endgültig die Weichen: Ab 1990 gibt es, vom Managementgiganten IMG vermarktet, die ATP-Tour. Der ITF blieben nur noch die Grand-Slam- Turniere und der Davis Cup.

Seither sinnt sie auf Rache, und eine der ersten Gemeinheiten, die ihr einfiel, war, den Spielern ihren Urlaub zu vermasseln. Die ITF gebar in direkter Konkurrenz zum Frankfurter ATP-Masters den Grand Slam Cup und vergab ihn, der Europäisierung des Welttennis Rechnung tragend, für drei Jahre nach München. Qualifiziert für diese Veranstaltung, bei der es keine Weltranglistenpunkte gibt, sind die 16 Punktbesten der Turniere von Melbourne, Paris, Wimbledon und Flushing Meadow.

Blieb nur noch das Problem, die urlaubshungrigen Burschen nach Bayern zu locken. Die waren ohnehin sauer, weil das Jahr unter ATP- Ägide längst nicht so wie erhofft verlaufen war. Die Gier der Einzelveranstalter nach Top-Ten-Leuten war so groß, daß diese mehr spielen mußten als je zuvor, und einige, wie Edberg oder Becker, noch Strafen wegen Schwänzens aufgebrummt bekamen. Ivan Lendl als alter ATP-Verächter konnte sich bestätigt sehen. Da sei er nun aus der CSSR abgehauen, hatte er einmal gesagt, „und nun bin ich doch wieder unter Kommunisten gelandet“. Dabei könnte Tennis-Stachanow Lendl noch am ehesten den ATP-Orden für Planübererfüllung beanspruchen, und er war es auch, der als erster seine Teilnahme am Grand Slam Cup zusicherte.

Die Art des Köders lag auf der Hand: Kohle! Insgesamt sechs Millionen Dollar Preisgeld, da wurde manches starke Tennisherz schwach. Wer in der ersten Runde rausfliegt, erhält bereits 100.000 Dollar, zwei Millionen bekommt der Sieger — eine monströse Summe, wie sie bis 1988 nur dreimal innerhalb eines gesamten Jahres von einem Spieler verdient wurde: 1982 und 1987 von Ivan Lendl, 1984 von John McEnroe.

Boris Becker: Moral mit voller Hose

In München genügen schlappe vier Siege. „Unmoralisch“, fand es Boris Becker, für so viel Geld zu spielen, und mußte sich von Thomas Muster bescheiden lassen: „Mit voller Hose läßt sich leicht reden.“ Mats Wilander wiederum, wegen seiner Halbfinalteilnahme von Melbourne qualifiziert, blieb seinen revolutionären Grundsätzen treu: „Wir haben sechs Jahre lang für eine zweimonatige Urlaubspause gekämpft, eine Teilnahme wäre gegen alle Prinzipen, für die wir gearbeitet haben.“

Die meisten anderen Spitzenspieler aber schreiben Prinzipientreue eher klein, und so sind außer Becker, McEnroe, Wilander und dem verletzt-wankelmütigen Agassi alle, die sich qualifiziert haben, dabei: Lendl, Edberg, Gomez, Sampras, Ivanisevic, Svensson, Muster, Wheaton, Noah, Tscherkassow, Krickstein, Chang, Leconte, Curren, Bergström und Gilbert. Die Veranstalter werten dieses Teilnehmerfeld als großen Erfolg, ein Etappensieg beim Machtkampf mit der ATP.

Eifrig bestrebt sind sie allerdings, den ihnen anhaftenden Ruch von Tennismaharadschas loszuwerden und stellen deshalb eine karitative Grundhaltung zur Schau. Zwei Millionen Dollar sollen der tennismäßigen Entwicklungshilfe für die Dritte Welt zufließen, Karten schon ab vierzig D-Mark erhältlich sein und die Champagnerorgien des Ion Tiriac unterbleiben. Die kann er wieder beim geplanten Grand Slam Cup der Frauen veranstalten. Und wenn die inflationäre Entwicklung im Tennis so weitergeht, dann wird es eines Tages zwar nicht drei Päpste, wohl aber drei Wimbledon-Sieger geben.

Ein Hinweis an die Spieler: Die Parkplätze an der Münchner Olympiahalle sind bewacht.