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Wahlen und Krieg in Kolumbien

Während der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung griff die Armee das Hauptquartier der FARC-Guerilla an  ■ Aus Bogotá Ciro Krauthausen

Bei den Wahlen am Sonntag zu einer Verfassunggebenden Versammlung in Kolumbien hat es der Ex-Guerillakommandant Antonio Navarro Wolf geschafft, sich und seine buntgescheckte Bewegung als wichtige politische Kraft Kolumbiens zu etablieren. Die in Umfragen vorausgesagten 40 Prozent der Stimmen wurden zwar nicht erreicht, die Liste der „Demokratischen Aktion M-19“, die sich aus Ex-Guerilleros der M-19, einigen Liberalen und Konservativen sowie Gewerkschaftlern und Linken zusammensetzt, erhielt jedoch beinahe 27 Prozent der Stimmen. Somit könnte die M-19, die erst im März dieses Jahres nach Friedensverhandlungen mit der Regierung die Waffen niederlegte, mit einem Block von rund 20 Mitgliedern die Verfassunggebende Versammlung anführen. Die restlichen 50 Plätze dürften sich Liberale, Konservative und eine Handvoll linker oder unabhängiger Kandidaten aufteilen.

Fraglich ist jedoch, inwieweit die Verfassunggebende Versammlung tatsächlich vom Volk legitimiert wurde. Über 70 Prozent aller Stimmberechtigten konnten sich nicht zum Urnengang aufraffen. Im größten Wahlzentrum Kolumbiens, den Messehallen in der Hauptstadt Bogotá, schlugen sich die Wahljuroren mit Däumchendrehen die Zeit um die Ohren. Bei der massiven Enthaltung spielte sicherlich auch die Unkenntnis über den Sinn einer Verfassungsreform eine Rolle. Bei Radiointerviews im Wahlkampf wurden die Kandidaten des öfteren von interessierten Zuhörern gefragt, ob etwa die Verfassunggebende Versammlung dafür sorgen würde, daß die Stromrechnungen niedriger ausfielen. Außerdem dürfte das Vertrauen der Bürger in ihre Politiker einen neuen Tiefpunkt erreicht haben. „Eher hänge ich mich auf, als die zu wählen“ — so ein Zeitungsverkäufer in Bogotá.

Weder Präsident César Gaviria noch die Führer der M-19 gingen in ihren Wahlbilanzen auf das Mißtrauen der Bürger ein — sie beließen es dabei, mit identischen Worten die „Geburt eines neuen Kolumbiens“ heraufzubeschwören. Und die Ex- Guerilleros der M-19 verschwendeten kein Wort an das Schicksal ihrer ehemaligen Kampfgenossen, den Guerilleros der FARC.

Während alte und neue Politiker sich in Bogotá die Hände schüttelten, tobte im Osten des Landes der Krieg. Wie das Verteidigungsministerium verlautbarte, begannen am Sonntag morgen Eliteverbände der Armee mit Unterstützung der bombardierenden Luftwaffe einen Angriff auf „Casa Verde“, das Hauptquartier der FARC-Guerilla. Bei den schweren Gefechten, die gestern noch anhielten, starben nach offiziellen Kommuniqués sieben Soldaten und vier Mitglieder der Besatzung eines offensichtlich abgeschossenen Helikopters. Nach inoffiziellen Angaben wurden darüber hinaus über 40 Guerilleros getötet: Nach den Wahlen der Krieg.

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