Italiens Grüne: Angst vor dem „Teutonenvirus“

Grüne Parteien vereinigen sich — Umweltschutzverbände gehen auf Distanz/ Bald Diskussion über Atomkurs?  ■ Aus Castrocaro Werner Raith

An sich hätte der Vereinigungstag der „ganz, ganz große Wurf“ werden sollen, so jedenfalls unisono die bis dahin noch getrennt marschierenden Vordenker der beiden parlamentarischen Grün-Fraktionen, Gianni Mattioli und Massimo Scalia („Sole che ride“, lachende Sonne) und Franco Rutelli („Arcobaleno“, Regenbogen). Auch der Ort, an dem der Wurf geplant war, hatte einen Namen, der symbolträchtiger nicht sein konnte: Castrocaro e Terra del Sole. Doch vom „Sonnenland“ am Adriatischen Meer war nicht nur angesichts der Wolkenbrüche nichts zu sehen — auch das Ergebnis der drei Tage des Zusammenraufens klingt nicht gerade nach einem „machtvollen neuen Aufbruch“.

Italiens parlamentarische Grüne haben sich zwar vereinigt. Doch wahrscheinlich haben sie viel mehr verloren als gewonnen.

Anders als in Deutschland hatte sich die italienische Umweltschutzbewegung nicht aus Bürgerinitiativen herausgebildet, sondern aus schon lange bestehenden, vordem auch anderen Zielen gewidmeten großen Vereinigungen: „Italia nostra“, das sich einst dem Erhalt von Traditionen und Kulturdenkmälern, aber auch der politischen Geschichte widmete; „Lega per l'ambiente“; „World Wildlife Fund“ etc. etc. All diese, teilweise bis zu 100.000 Mitglieder starken Verbände waren ursprünglich an Parteien gebunden. Erst deren mangelnde Sensibilität hat Mitte der achtziger Jahre dann zum Eintritt in die „große Politik“ geführt. Schon beim ersten Versuch auf nationaler Basis erreichten „iVerdi“ mit ihrem Symbol der lachenden Sonne respektable zweieinhalb Prozent und erhielten 13 Abgeordnete. Ein großer Erfolg, denn es war das erste Mal, daß einer Gruppe der Einzug ins Parlament gelang, die nicht aus der Spaltung anderer Parteien entstanden war.

Schon bald jedoch bekamen die Grünen auf dem üblichen Weg Konkurrenz: Die kleine, aber lebendige Partei der Radikalen um den Tribun Marco Pannella gründete ebenfalls eine grüne Parlamentsgruppe, in die ein Teil der vormaligen Abgeordneten der Partei einstieg, allen voran der zweite charismatische Kopf der Radikalen, Franco Rutelli. Diese nun „Arcobaleno“ genannte Formation setzte stark auf Friedens- und Menschenrechtspolitik, wie das der Radikalentradition entspricht, und besetzten damit ein von den Grünen der „lachenden Sonne“ sträflich vernachlässigtes Thema. Die neuen Kollegen zielten von Anfang an auf Vereinigung mit den „reinen Grünen“, gleichzeitig aber auch auf Hegemonialisierung der Umweltschutzbewegung. Das machte lange Zeit jeglichen Ansatz für eine Symbiose schwierig. Doch dann kamen zwei unerwartete Entwicklungen: einerseits das Erstarken der norditalienischen „Ligen“, mit deren gelegentlichem Rassismus die Grünen nichts gemein haben wollen, die aber die Grünen-Forderung nach Stärkung der Regionen und der Kommunen teilen und bei Wahlen bereits ins Umweltschützerreservoir eingebrochen sind; andererseits kam dann noch die „kalte Dusche aus dem Norden“, der Kollaps der deutschen Grünen bei den Wahlen. Die Angst vor dem „Teutonenvirus“ spielte in vielen Reden des Vereinigungsparteitags eine herausragende Rolle.

Doch kaum hatten sich gut 80 Prozent der etwa 400 Delegierten der lokalen Gruppen für die neue Formation ausgesprochen, da wurde auch schon klar: die Groß-Grünen, die sich einst gerade durch ihre Verweigerung traditioneller Politikmethoden beliebt gemacht hatten, sind drauf und dran, selbst zu einer stinknormalen Partei alten Stils zu verkommen. Ganz nach Art der anderen „Partiti“ wurden die Stellen im 78köpfigen Föderationsrat und dem 11köpfigen Exekutivorgan nach dem Strömungsproporz vergeben.

Kaum gewählt, mußte die neue Führungsriege entsetzt den Verlust just jener Gruppen hinnehmen, durch die die Ökologiebewegung in Italien großgeworden war, die großen Umweltschutzvereinigungen. Sie setzten sich von den vereinigten Grünen ab. Das hat zwar einen einleuchtenden Grund — die Bindung der Verbände an Parteien wie die Kommunisten, die Sozialisten, die Linkskatholiken, die eine Mitarbeit der Grünen nur solange zuließen, als diese keine wirkliche Partei waren — ist dadurch aber nicht weniger schmerzlich.

Entsprechend schwierig wurde die Verabschiedung des Programms, besser der Programmrudimente — denn nun gilt auch bei den neuen Grünen das Ausklammern als hohe Tugend. Zwar ließen sich allgemeine Statements zur „hohen Politik“ schnell schweißen — so etwa die Forderung nach Rücktritt des Staatspräsidenten wegen seiner Rolle im Skandal um die Geheimarmee Gladio oder nach dem Rückzug der italienischen Kriegsschiffe vom Golf — doch schon diese Präferenzen zeigen, wie sehr Umweltfragen nun schon hinter den Lieblingsthemen der Radikalen zurückstehen. Nur sehr undeutlich mochten sich die Delegierten von der Forderung des „Lega per l'ambiente“-Präsidenten, Ermete Realacci, nach einer „Überprüfung unserer Ablehnung der Nuklearenergie“ absetzen; zu Themen wie Kampf gegen die Müll-Ausfuhr fiel den Delegierten nicht mehr ein als die Forderung nach „Umweltgerechtigkeit“ oder „ökologischer Verträglichkeit“.

Der Spaltpilz hat, wie es scheint, Italiens Grüne gerade nach ihrer Vereinigung besonders getroffen. Aber er läuft weniger entlang der deutschen Linie zwischen Realos und Fundamentalisten als zwischen Massenbewegung und parlamentarischem Kungelspiel.