Bonn wußte von Czerny/de Maizière

■ Erste Hinweise schon im Januar/ Bonner Politiker stellen sich hinter de Maizière/ Neue Vorwürfe gegen den Ex-DDR-Ministerpräsidenten/ De Maizière soll Stolpe ausgepitzelt haben

Berlin (taz) — Führende Politiker aus der Union haben sich gestern hinter Lothar de Maizière gestellt und ihn vor den Stasi-Vorwürfen in Schutz genommen. Kanzleramtsminister Seiters erklärt gestern, daß Innenminister Schäuble beauftragt wurde, „jedem Hinweis“ im Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen den früheren DDR-Premier umgehend zu prüfen. Bis dahin müsse das Wort des CDU-Parteivorständlers gelten, der gestern weiterhin jede Stasi-Mitarbeit vehement bestritt. Auch FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff sprang dem schwer belasteten CDU-Politiker und Minister ohne Geschäftsbereich zur Seite: „Ich glaube de Maizière mehr als einem Führungsoffizier der Stasi.“

Möglicherweise wird der Bonner Graf seine Meinung schon am Donnerstag ändern — das Hamburger Magazin 'Stern‘ kündigte vorab weitere Enthüllungen an. Neben den Aussagen von de Maizières angeblichem Stasi-Führungsoffizier Edgar Hasse soll es weitere Informationen geben, die den Verdacht gegen den CDU-Vize erhärten. De Maizière soll unter anderen den heutigen brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten Manfred Stolpe bespitzelt haben.

Bundesminister de Maizière — der wegen seiner „außerordentlichen Verdienste um die deutsche und damit die europäische Einigung“ demnächst mit dem auf 5.000 Mark dotierten „Peter-Wust-Preis 1991“ beglückt werden soll — wies die Vorwürfe erneut zurück. Er kenne den Stasi-Major Hasse nicht und habe auch keine Erklärung für sein Verhalten. An Rücktritt denke er nicht.

Nach Informationen der taz ist die Bundesregierung über die Rolle Rolle de Maizières als Informeller Mitarbeiter mit dem Decknamen „Czerny“ seit längerem unterrichtet. Bereits vor über zwei Monaten offenbarte sich ein Kollege der Führungsoffiziere von de Maizière beim Berliner Verfassungsschutz und berichte über de Maizières Mitarbeit als „Czerny“. Die Aussagen des Führungsoffiziers wurden umgehend an das Bonner Kanzleramt weitergeleitet.

Hinweise auf die Stasi-Mitarbeit des früheren Premierministers gab es schon im Januar. Anonym richtete ein Stasi-Mitarbeiter am 10. Januar 1990 ein Schreiben an das Bündnis 90 in dem er schrieb: „Mir ist bekannt, daß nach jeder bedeutenden kirchlichen Tagung bzw. Zusammenkunft von oppositionellen Gruppen, an der Rechtsanwalt de Maizière teilnahm, sofort ein konspiratives Treffen zwischen Major Hasse und ,Czerny‘ stattfand. Der am nächsten Tag gefertigte Treffbericht wurde sofort per persönlichem Kurier ins Ministerium in die Normannenstraße gebracht.“

Für seine „ausgezeichnete Arbeit bei der Anleitung und Abschöpfung“ von „Czerny“ habe Stasi-Major Hasse auch mehrfach Auszeichnungen durch den Leiter der Berliner Bezirksverwaltung der Stasi erhalten, darunter auch eine Ausnahmegenehmigung zum Kauf eines PKWs der sowjetischen Marke Lada. Das anonyme Schreiben wurde im Frühjahr aber als gezielte Desinformation gewertet, da zur gleichen Zeit ähnliche Schreiben über den Rechtsanwalt und DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur kursierten — der kurz darauf tatsächlich als Stasi-Spitzel enttarnt wurde.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gibt es noch keine Erkenntnisse aus der Überprüfung de Maizières, die in der vergangenen Woche in Gang gebracht wurde. Führungsoffizier Hasse, auf den sich bereits der 'Spiegel‘ berufen hat, sagte dem 'Stern‘, de Maizière sei als Informant „von hohem Wert“ gewesen. Er sei Ende 1982 in seiner Anwaltspraxis angeworben worden. „Er wußte sofort, daß wir vom MfS [Ministerium für Staatssicherheit] kamen und war sofort zu einer sachlichen Zusammenarbeit bereit. Zwang mußten wir nicht ausüben.“ De Maizière habe unter anderem über interne Einschätzungen aus der DDR-Kirchensynode berichtet, auch über Gespräche mit Manfred Stolpe und Landesbischof Gottfried Forck.

Auch ein weiterer Stasi-Führungsoffizier, Kurt Dohmeyer, soll von de Maizière mit Unterlagen beliefert worden sein. Dem 'Stern‘ zufolge wurden die Originalakten über de Maizière im November 1989 durch den Leiter der Kirchenabteilung beim MfS, Jochen Wiegand, vernichtet. Wolfgang Gast