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Holocaust im Kundenzentrum

■ George Taboris „Jubiläum“ in den Frankfurter Stadtwerken

Was haben die Frankfurter Stadtwerke mit Theater zu tun? Eigentlich nichts, wären da nicht Reste des jüdischen Ghettos aus dem Mittelalter, die im neuen Verwaltungsgebäude der für Gas, Wasser und Strom zuständigen Behörde fachgerecht eingekachelt worden sind. Der Öffentlichkeit sind sie bisher nicht zugänglich. Nachdem der Monsterbau gegen alle Proteste im Sommer 1987 durchgestezt wurde, streiten nun die Parteien um das richtige museale Konzept. Emmanuel Bohn, Leiter des „Theaters zwischen den Ufern“, hat sein Konzept schon präsentiert. Er inszeniert George Taboris Das Jubiläum in der Höhle des Löwen. Die Zuschauer werden auf einer „Rampe“ an den Mauerresten von Teilen des jüdischen Ghettos vorbei in den „Zuschauerraum“ geführt, dessen riesige Glasfront die postmoderne Geschichtsauffassung der Frankfurter Stadtwerke transparent werden läßt.

Um das 1983 in Bochum uraufgeführte Drama des zwischen 1933 und 1945 durch halb Europa gehetzten Juden George Tabori an solch exponiertem Ort aufführen zu können, mußte Bohn eine Haftpflichtversicherung in Höhe von zwei Millionen Mark abschließen. Über eine „Unkostenpauschale“ bis zu 15.000 Mark wurde seitens der Stadtwerke bis zuletzt erbittert gerungen.

Während tagsüber die Versorgungsbehörde ihren sozialdemokratischen Gang geht, schleppen sich abends die Untoten mit ihren Truhen, die Grabstein, Zuflucht und Rostra in einem sind, auf die Bühne. Der alte Leiterwagen und ihre Erinnerungen sind ihnen geblieben, flankiert von einem gräberschändenden Neonazi und dem Totengräber.

Nur einen Steinwurf weit von der Stelle entfernt, an der bis zur „Reichskristallnacht“ die größte Frankfurter Synagoge stand, erinnern sich der Musiker Arnold Stern (Markus Kissling) und seine Frau Lotte (Anna Stein) an den Beginn ihrer Liebe: den 30.Januar 1933, als die SA in Berlin Unter den Linden marschierte.

Der „genius loci“ dieser Aufführung schafft eine eigenartige Distanz zu den Erzählungen einer schreckensreichen Vergangenheit, die man weder „bewältigen“ noch in Vitrinen ausstellen kann. Wir haben verdient, uns mit ihr auseinandersetzen zu können. Reinhard Mohr

George Tabori: „Das Jubiläum“, Theater zwischen den Ufern, Kundenzentrum der Frankfurter Stadtwerke am Börneplatz. Die letzten drei Aufführungen am 13., 15. und 16.Dezember 1990 um 20 Uhr.

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