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Vaclav Havel fordert mehr Macht

Slowakische Parteien kritisieren die Haltung des Präsidenten im Kompetenzstreit  ■ Aus Prag Sabine Herre

Zustimmung in Böhmen und Mähren, überwiegende Ablehnung in der Slowakei — das sind die Reaktionen auf die Rede Vaclav Havels vor der Bundesversammlung, dem Parlament der Tschechoslowakei. Der Präsident hatte zu den Kompetenzstreitigkeiten zwischen der slowakischen Republik und der Föderalregierung Stellung genommen. Er schlug vor, zur Verhinderung einer Verfassungskrise ein Verfassungsgericht und die Möglichkeit eines Referendums zu schaffen. Außerdem möge das Parlament die Erweiterung der Rechte des Staatspräsidenten erwägen. Dieser Vorschlag wurde von den Abgeordneten aller slowakischen Parteien entschieden abgelehnt. Selbst der Vertreter der „Öffentlichkeit gegen Gewalt“, der Schwesterorganisation des Bürgerforums, stellte fest: „Ich sehe keinen Grund, warum die Kompetenzen des Präsidenten in einer funktionierenden Demokratie erweitert werden sollen.“ Zugleich bemühten sich die slowakischen Parlamentarier, die Ursache für die angespannte innerpolitische Lage als „Mißverständnis“ abzutun. Der Ministerpräsident Mečiar habe niemals die slowakischen Gesetze über die der Föderation stellen wollen. Dies sei eine Unterstellung des tschechischen Ministerpräsidenten Pithart gewesen. Da in der Tschechischen Republik keine slowakischen und in der Slowakischen Republik keine tschechischen Zeitungen zum Kauf angeboten werden, hat sich in jedem Landesteil ein selbständiger Diskurs entwickelt, was zu Mißverständnissen führt.

Doch die Diskussion über das sogenannte Kompetenzgesetz bewegt die Tschechoslowakei seit Monaten. Während die Tschechen zunächst bereit waren, die Forderungen der Slowaken zu akzeptieren, ist die Stimmung nun umgeschlagen. Nun wird darauf hingewiesen, daß jedes Jahr Millionen von Kronen aus der Tschechischen Republik in die Slowakische fließen. Ohne diese Gelder wäre die Industrialisiserung des unterentwickelten östlichen Landesteiles nicht möglich gewesen. Finanzminister Klaus bezeichnete die slowakische Absicht, Erdöl- und Gasleitungen zu teilen, schlicht als „Blödsinn, den der Rest der Welt nicht verstehen wird“. Der Minister wies darauf hin, daß die Vertreter des IWF sich „ausgesprochen verwundert“ über die Kompetenzstreitigkeiten gezeigt hätten. Bereits positiv abgeschlossene Verhandlungen würden so bedroht werden. Meinungsumfragen zufolge treten über 80 Prozent der Bevölkerung für den Fortbestand der „Tschechoslowakichen Föderativen Republik“ ein. So ist anzunehmen, daß es selbst den Politikern, die sich am meisten über den „Pragozentrismus“ ereifern, nicht um einen selbständigen slowakischen Staat geht. Der Taktiker Mečiar hat die Nachgiebigkeit seiner tschechischen Kollegen genutzt, um sich und der slowakischen Republik einen möglichst großen Machtanteil zu sichern. Über die endgültige Fassung des Kompetenzgesetzes wird die Bundesversammlung diese Woche entscheiden.

Havels Rede in Auszügen auf Seite 10

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