Spendenkampagne:
: Hilfe für die Opfer von Tschernobyl

■ Die Rußland-Hilfe läuft auf vollen Touren. Nicht mit Weihnachts- paketen, sondern mit Geld wollen die Vereine „Kinder von Tschernobyl“ und „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung“ den Strahlenopfern in Belorußland langfristig helfen. Die taz wird in regelmäßigen Abständen über die Hilfsaktionen berichten.

Nicht nur Notrufe, sondern Visionen unvorstellbarer Katastrophen und Bilder eines Alltags voller Verzweiflung werden in den Wochen vor Weihnachten aus der Sowjetunion übermittelt. Die Deutschen sind spendenfreudiger denn je, aus vielen Motiven: von der Wiedergutmachung der Vergangenheit bis zur Angst davor, daß sich „die Perestroika in ein weltweites Tschernobyl“ verwandelt, wie es kürzlich eine Moskauer Zeitung kommentierte. Eine — allerdings sehr große — Nebensorge ist: Wie hilft die Rußland- Hilfe tatsächlich, wie finden die Spenden ihre Adressaten? Die taz unterstützt vier konkrete Projekte und garantiert, daß die Spenden auch an Ort und Stelle ankommen. Es handelt sich um Projekte der Vereine „Kinder von Tschernobyl“ und „Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung“. Nicht so sehr mit Weihnachtspaketen wollen die Mitglieder den Menschen in Belorußland helfen. Sie unterstützen schon seit einem Jahr das Minsker Komitee „Die Kinder von Tschernobyl“ mit konkreten Projekten: Dazu gehören die „Ferien für die Kinder aus Tschernobyl“. In diesem Sommer machte es die Aktion möglich, daß über 3.000 Kindern ihren Urlaub in Deutschland verbringen konnten. Auch 1991 geht es darum, daß die Kinder eine Chance haben, wenigstens ein paar Wochen außerhalb der belasteten Gebiete Belorußlands leben zu können.

Das zweite Projekt: ein Umsiedlungsprogramm innerhalb Belorußlands. Noch immer wohnen über zwei Millionen Menschen in verstrahlten Regionen. Im Frühjahr werden die ersten 150 Familien in neue Häuser in der Nähe von Witebsk ziehen. Um auch anderen Familien einen solchen Umzug zu ermöglichen, sammeln die Initiatoren Gelder für den Bau weiterer Häuser. Aber diese Häuser wird es nicht geben, wenn nicht dort eine Ziegelei gebaut wird.

Das dritte Projekt: die nach wie vor dringend erforderliche medizinische Hilfe. Das heißt: Weiterbildung von Ärzten und Schwestern sowie Behandlung von Kindern in westlichen Krankenhäusern. „Aber noch viel besser wäre es, ein Krebsforschungszentrum in Belorußland zu errichten“, so der Wunsch der Initiatoren der Tschernobyl-Hilfe. Die Regierung gab bereits grünes Licht für den Bau eines solchen Zentrums. Aber für die Innenausstattung fehlt das Geld.

Im Rahmen der Soforthilfe schicken die Vereine in regelmäßigen Abständen auch weiterhin Kleinkind- und Babynahrung. „Solche Soforthilfeprogramme können aber nur zur Überbrückung dienen“, meinen die Tschernobyl-Helfer. Deshalb müsse unbedingt eine Fabrik im Norden Belorußlands gebaut werden, in der unbelastete Nahrung hergestellt wird. Gemeinsam mit dem Komitee „Die Kinder von Tschernobyl“ gibt es Pläne, dieses Werk ebenfalls in der Nähe von Witebsk zu errichten.

„Schnelle und unbürokratische Hilfe“

Inzwischen hat sich auch die in der ehemaligen DDR stationierte Rote Armee für die Tschernobyl-Hilfe engagiert. In der vergangenen Woche flog zum ersten Mal eine Armeemaschine eine Hilfssendung nach Minsk. Ein Pastor aus Parchim kam auf die Idee. Wie er es schaffte, einen Offizier der sowjetischen Luftstreitkräfte für einen Transportflug zu gewinnen, bleibt sein Geheimnis. Auf jeden Fall fanden der Offizier und der Pfarrer einen schnellen und unbürokratischen Weg, 7,5 Tonnen, gespendet von drei Kindernahrungsherstellern aus der ehemaligen DDR und 2,5 Tonnen Pakete aus dem Kreis Parchim nach Minsk zu schaffen. Unser Augenzeuge beim ersten Flug mit dem Militärtransporter Antonow 12 nach Minsk war der Slawistikstudent Hartmut Schröder aus Berlin. Seine Aufgabe: die Übergabe der Spenden zu begleiten. In Minsk warteten schon zwei Lkws aus den südlichen Regionen Gomel und Choiniki, die die Pakete aufluden, ohne daß der der Zoll kontrollierte. Schröders Resümee: eine schnelle und unbürokratische Organisation. Wie nötig eine Begleitung ist, zeigte sich daran, daß auf dem Flughafen noch fünf weitere Lkws warteten, die nicht von den Minsker Helfern bestellt waren. Darunter erkannte der Koordinator der Tschernobyl-Hilfe zwischen Berlin und Minsk, Bjelkow, auch den Vorsteher der Apothekenhauptverwaltung des Gesundheitsministeriums der Belorussischen SSR. Er hatte es vor allem auf zwei Kartons mit medizinischen Geräten abgesehen. Woher er davon wußte, konnte keiner sagen. Von Bjelkow erfuhr der Berliner Student auch die Geschichte mit den Medikamenten aus Belgien, von denen einige Zeit später Vitaminpräparate auf den Basaren der Stadt auftauchten — pro Vitaminpille 75 Kopeken, fast 2 DM. Bärbel Petersen