Kolumbus kommt zum zweiten Mal

■ »...And the Pursuite of Happiness« von Louis Malle im Sputnik Südstern

Amerika — bei diesem Stichwort rümpft der deutsche Kulturmensch, egal ob reaktionär, liberal, alternativ oder autonom, unverzüglich die Goethe-Gedenknase (GGN) und das Dichter- und-Denkermaul erteilt den letzthinnigen Bescheid: Coca-Cola-Imperialismus, McDonald's-Kultur und Negermusik. Die Rede von »Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, hingegen bewirkt beim hiesigen Kulturmenschen bloß ein verächtliches Grimassieren der gebildeten Gesichtsmuskulatur. Für die doofen AmerikanerInnen ist dieser weitverbreitete Igitt-Reflex andererseits ein ausgesprochener Glücksfall, weil sie auf diese Weise von den Wahrern des Wahren verschont bleiben, die viel lieber in Österreich oder Nicaragua nach dem Echten suchen.

Dennoch gibt es Zigtausende, die alljährlich in die Vereinigten Staaten einwandern, um dort ihr Glück zu machen: Kubaner, Eritreer, Inder, Chinesen, Vietnamesen, Araber, Puertoricaner, Russen, Thailänder. Zum allergrößten Teil sind es keine politisch Verfolgten, sondern ganz exakt das, was man hierzulande abfällig als »Wirtschaftsflüchtlinge« bezeichnet. Sie kommen, um ein materiell besseres Leben als in ihren Heimatländern führen zu können. Nicht wenigen gelingt es sogar.

Der französische Regisseur Louis Malle ist 1976 in die USA gegangen. Nachdem er 1984 einen Spielfilm über das tödliche Aufeinandertreffen von vietnamesischen Einwanderern mit texanischen Eingeborenen in einem kleinen Fischerdorf gedreht hatte (Alamo Bay), ist er kreuz und quer durchs Land gefahren, um in Erfahrung zu bringen, wie es anderen Immigranten so ergeht.

Das beginnt mit einem Theaterregisseur aus Moskau, der in der Sowjetunion ruhm- und privilegienmäßig bis hin zur Datscha und Auslandsreisen alles erreicht hatte. Aber mit sechzig kriegte er es dann plötzlich im Kopf und ging in die USA, um dort ein neues Leben zu beginnen. Eine blonde Kubanerin zeigt stolz ihr Eigenheim und den dazugehörigen Schäferhund. Überhaupt ist Miami der Anziehungspunkt für ausgewanderte Kubaner. Aus einem öden, halbverfallenen Küstennest haben sie eine blühende Wolkenkratzerstadt gemacht. Englisch ist dort die zweite Sprache. Ein junger Latino kann einen rasanten Aufstieg bei der NASA aufweisen, und ein chinesischer Student erzählt von seiner bevorstehenden Karriere.

Für diese Einwanderer ist der amerikanische Traum Wirklichkeit geworden. Es gibt auch andere. Zum Beispiel die Mexikaner, die gar nicht erst reingelassen werden. Tagtäglich versuchen sie, illegal die Grenze zu überqueren, um sich drüben für einen Hungerlohn zu verdingen. Das ist immer noch besser als ein mexikanischer Wochenlohn. Die Angst der weißen Arbeitsplatzhalter sorgt für immer schärfere Grenzkontrollen. Die Futterneidfront ist aber auch im Landesinneren anzutreffen. In einem schwarzen Stadtteil, der zunehmend von Chinesen bewohnt wird, stehen Schlägereien auf der multikulturellen Tagesordnung.

...And the Pursuite of Happiness (zu deutsch etwa: ...und das Streben nach Glück) ist kein Film, der politische Analysen über Aus- oder Einwanderer liefert. Malle ist auch nicht an der aktuellen Einwanderungspolitik der nordamerikanischen Administration interessiert. Daten und Fakten (wann, wie viele, woher, wohin) kümmern ihn noch weniger. Es geht vielmehr um die heutige Funktionsweise des berühmten Schmelztiegels, der die merkwürdigsten kulturellen Paradoxe hervorbringt, wie beispielsweise die indische Familie, die gleich neben dem hinduistischen Hausaltar ein Fernsehgerät installiert hat, oder die Puertoricanerin, die auf einer jüdischen Familienfeier jiddische Lieder singt. Und natürlich geht es um diejenigen, die sich in den Schmelztiegel reinstürzen. Weiße kommen allenfalls als Grenzschützer oder Zollbeamte vor. Louis Malle läßt sie souverän außerhalb des Bildrandes liegen. (Insofern ist der Rosa- von-Praunheim-Film Überleben in New York über drei Deutsche im »melting pot« hoffnungslos eurozentristisch und veraltet.)

Vielleicht gehört die Zukunft der USA den asiatisch-afrikanisch-lateinamerikanischen Einwanderern, indem sie die europäischen Weißen verdrängen. Eine Vision, vor der der Kohl-Berater und Geschichtsprofessor Michael Stürmer eindringlich und vorsorglich auf der Hundertjahrfeier der metallindustriellen Arbeitgeber gewarnt hat. Wie auch immer: Die real entstehende multikulturelle Gesellschaft der USA wird mit Sicherheit ganz anders aussehen als der grün-alternative Ringelpiez mit Döner, Samba und echten Ausländern zum Anfassen. Volker Gunske

...And the Pursuite of Happiness , USA 1986, ca. 80 min, engl. OF. Ab heute bis zum 23.12. im Sputnik Südstern um 19.30 Uhr.