Vietnamesen vor Flug ins Ungewisse

■ Berliner Betrieb verweigert VietnamesInnen die volle Abfindung/ Die Betroffenen wehren sich, sollen aber heute ausgeflogen werden/ Restgeld auch noch in inflationärer Heimatwährung

Berlin. Genau vor Eingang F parkt ein Trabi, dessen Aufkleber vor dieser Kulisse wie Hohn klingt: »Willkommen Deutschland« verkündet der Schriftzug zwischen nackten Wohnblocks, in denen vor allem vietnamesische ArbeiterInnen untergebracht sind. Im zehnten Stock sind sieben VietnamesInnen dabei, Abschied zu nehmen von Deutschland, das sich ihnen gegenüber noch einmal von seiner häßlichsten Seite präsentiert. »Wenn uns nicht Recht gegeben wird, dann weiß ich nicht, was wir noch in guter Erinnerung behalten sollen«, sagt ein junges Mädchen. Ihr Arbeitgeber, »Hotel und Gaststätten Müggelsee«, weigert sich, trotz vorzeitiger Kündigung die volle Abfindung zu zahlen.

Wie ihre Landsleute wurde die Vietnamesin Opfer der Rationalisierungswelle in der ehemaligen DDR. »Um rentabel zu wirtschaften, muß jeder vollbeschäftigte Mitarbeiter einen jährlichen Gewinn von 100.000 Mark erwirtschaften«, lautet die Kalkulation im Kündigungsschreiben. Daran nehmen die Betroffenen keinen Anstoß — auch viele deutsche KollegInnen mußten gehen.

Nun will der Direktor des Unternehmens von jener Abfindung nichts wissen, die den VietnamesInnen einer staatlichen Verordnung vom Juni 1990 zufolge zusteht. Demnach erhalten ausländische ArbeitnehmerInnen, die im Rahmen von Regierungsabkommen in die damalige DDR gekommen waren und nun vorzeitig nach Hause fliegen müssen, eine Starthilfe von 3.000 Mark. Als »Gegenleistung« verzichten die HeimkehrerInnen auf Arbeitslosenunterstützung und Rentenansprüche. Doch höchstens die Hälfte, nämlich 1.500 Mark, wollen die »Hotel und Gaststätten Müggelsee« noch zahlen. Sie setzen auf die Ausnahme von der Regel: Die zweijährigen Verträge, wie sie mit den sieben VietnamesInnen abgeschlossen worden waren, seien von den Regierungsabkommen ausgeschlossen.

»Dies ist kein Einzelfall«, sagt Nguyen Van Huong, Mitarbeiter der Ausländerbeauftragten des Ostberliner Magistrats, zu dieser Geschichte. Und: »Keiner weiß, wie hoch die Dunkelziffer bei solchen Fällen ist.« Mittlerweile ist ein Rechtsanwalt mit dem Fall betraut — ungewöhnliche Kampfbereitschaft für vietnamesische ArbeitnehmerInnen. Doch die Uhr läuft gegen sie: Der ehemalige Arbeitgeber hat für heute abend Flugtickets nach Vietnam gebucht. Bis dahin müssen die sieben VietnamesInnen die betriebseigenen Unterkünfte geräumt haben. Wollen sie länger bleiben, müßten sie womöglich nicht nur die Wohnung, sondern auch den Heimflug selbst bezahlen.

Doch selbst wenn ein Prozeß in ihrer Abwesenheit gewonnen würde, hätten die KlägerInnen wenig Grund zum Jubel. In ihrer Heimat wird die Abfindung in der inflationären Landeswährung ausgezahlt, die ihnen innerhalb weniger Wochen zwischen den Fingern zerrinnen würde. Aus der »Starthilfe« würde wertloses Papier.

Als besonders schmählich empfinden die jungen Leute, neben anderen Heimkehrern nur mit der Hälfte der Abfindung dazustehen. »Wir werden in unserer Familie als Versager dastehen«, sagt eine junge Vietnamesin. »Das versteht in Vietnam niemand.« Christine Pöhlmann