Der liebe Gott steckt im Detail

■ Ein Gespräch mit Michael Roemer, dem Regisseur von „Komplott gegen Harry“

taz: Sie mußten aus Deutschland fliehen, als Sie elf Jahre alt waren...

Michael Roemer: Ich erinnere mich an diese Zeit nur noch sehr fragmenthaft. Mir fallen nur noch vergleichsweise unbedeutende Kleinigkeiten ein. Zum Beispiel, daß ich plötzlich keine Freunde mehr hatte, weil ich Jude war. Mein bester Freund, der Sohn unseres Portiers, hat mich aus diesem Grund sogar verprügelt. Ich erinnere mich noch an den Kindertransport, mit dem ich mit 3.000 anderen Kindern nach England gebracht wurde.

Fällt es Ihnen schwer, zurückzukommen?

Seit meinem elften Geburtstag bin ich nicht mehr zu Hause gewesen. Aber ich habe sechs Monate in Hamburg gearbeitet an einem amerikanischen Film. Ich hatte jedoch immer mit Leuten zu tun, die jünger waren als ich. Das war natürlich viel leichter, weil man nicht immer denken mußte: Wo war der damals?

Dazu kommt noch etwas — ich sage das nicht gerne: Vor Jahren ist mir einmal klargeworden, daß ich, wenn ich nicht Jude gewesen wäre, wahrscheinlich auch meine Ausreden gefunden hätte: Ich wäre ganz sicher kein Widerstandskämpfer geworden.

Zu Ihrem Film: Glauben Sie, daß der Mißerfolg von „Komplott gegen Harry“ 1968 politische Gründe hatte?

Es war die Zeit von Easy Rider, und die Leute wollten kritische Filme. Mein Film ist eher ironisch, es handelt sich um einen Mann, der unbedingt in die Gesellschaft hinein will. Das konnten die Leute, die gerade gegen den Krieg in Vietnam demonstriert haben, nicht akzeptieren.

Ironie war damals nicht gefragt. Die Zuschauer wollten eine positive Identifikationsfigur. Das war auch bei Komödien so. Woody Allen hat das verändert und vielleicht dadurch auch dazu beigetragen, daß mein Film heute sein Publikum findet.

Außerdem haben die Leute den Film damals auch deshalb nicht verstanden, weil er sich zu schnell bewegt. Es passieren zu viele Sachen im gleichen Augenblick. Zwar hatte das Renoir schon in den 50erJahren gemacht, aber es entsprach nicht den Sehgewohnheiten des amerikanischen Publikums. Dann kommt dazu, daß der jüdische Mittelstand sich damals noch nicht so sicher gefühlt hat, daß er über sich selber lachen konnte. Und der Filmverleih wird in Amerika von Juden betrieben.

Haben Sie eine Erklärung für diese Affinität?

Wenn Sie zurückgehen zu den Anfängen der Filmkunst in Amerika, werden Sie sehen, daß Kino damals beinahe unanständig war: ein Pöbelvergnügen. Das war die Zeit, als sehr viele jüdische Einwanderer, ganz arme Juden, sich umsahen nach einem Broterwerb, und dort fanden sie den, sonst wollte das kaum jemand machen. Aber es gibt eben auch eine spezielle Anziehung. In meinen Filmklassen, überhaupt an den Filmschulen in Amerika, ist der Anteil der jüdischen Filmstudenten überproportional.

Es gab in Cannes Kritik an Ihrem Film, die Ihnen vorwarf, Sie würden darin antijüdischen Vorurteilen Vorschub leisten.

Die Menschen in meinem Film sind eben Kleinbürger. In Israel nennt man das Normalisierung des Judentums. Es darf auch Verbrecher geben, Straßenfeger ud Klofrauen. Man muß nicht mehr das erwählte Volk sein. Man muß nicht Einstein sein, man kann auch klein sein.

Haben Sie noch andere Spielfilme gemacht?

Vier. Nothing but a Man war sogar ziemlich erfolgreich, er gewann zwei Preise in Venedig. Es geht darin um Schwarze, und merkwürdigerweise gefällt er den amerikanischen Schwarzen. Aus irgendeinem Grund war ich in der Lage, mich in deren Situation einzufühlen. Komplott gegen Harry jedoch ist wirklich authentisch. Der Film über die Schwarzen ist im Prinzip richtig, aber die Feinheiten stimmen nicht. Im Detail, hat Cezanne gesagt, steckt der liebe Gott. Alles liegt im Detail, das ist so im Kino, beim Essen oder in der Ehe. Das Gespräch führte Gunter Göckenjan