Tour d'Europe

■ Zwischen Rabat und Tirana

Je weiter die Europäische Gemeinschaft entfernt ist, desto größer die Europabegeisterung. Diese Europhorie auf die Distanz zeigt sich in Spanien, wo das Volk nach Ansicht der Meinungsforscher europabegeisterter ist, als in der Mitte des Kontinents, schon seit einigen Jahren. Jetzt springen auch die mittelosteuropäischen Völker — oder sind es eher die mittelosteuropäischen Meinungsforscher? — auf diesen Zug: Nach einer Umfrage begrüßen 81 Prozent der Bevölkerung in Ungarn, 79 Prozent in der CSFR und 68 Prozent in Polen die „Vereinigten Staaten von Europa“. Zugleich wollen mehr als die Hälfte der Polen und Ungarn auch, daß ihr Land sofort der EG beitritt. Die Befragten in der CSFR sind zurückhaltender, mehr als ein Drittel votierte für eine langsame Annäherung im Laufe von fünf Jahren.

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Noch viel vorsichtiger, aber immerhin an mehr Nähe zur EG interessiert, ist das immer noch sehr hermetische Regime in Tirana. Auf den albanischen Wunsch nach vorerst nur diplomatischen Beziehungen reagierte Brüssel abwiegelnd. Alles hänge ab von der Einhaltung von Menschenrechten und demokratischen Freiheiten in dem Balkanland, erklärte ein EG-Diplomat.

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Lange bevor die Binnengrenzen restlos fallen, macht die EG ihre Außengrenzen immer unüberwindlicher. Im nächsten Schritt wollen die zwölf Mitgliedsländer eine Visumkonvention unterzeichnen, die gemeinsame Sichtvermerke, gemeinsame Regelungen über Aufenthaltsberechtigungen von Ausländern aus Drittländern sowie gemeinsame Grenzkontrollen vorsieht. Als Termin ist der Juni 1991 anvisiert. Diese Abschottung nach außen gilt nicht mehr wie bislang vor allem den Ländern der Dritten Welt, sondern ist deutlich auch gegen die osteuropäischen Länder gerichtet, die soeben erst die Reisefreiheit einführen. Die Innen- und Justizminister der EG- Länder waren sich bei einem Treffen am vergangenen Freitag in Rom noch uneinig über einige Ausführungsbestimmungen der künftigen Visumkonvention — darunter die Frage, wer nach 1993 in den Genuß der vielgepriesenen Freizügigkeit innerhalb der EG komme, ob nur die Binneneuropäer oder auch manche — oder gar alle? — Ausländer. Diese Fragen sollen die Experten bis zum kommenden Juni klären. Bis dahin können auch die übrigen westeuropäischen Länder, die nicht der EG angehören, überlegen, ob sie der Visumkonvention beitreten wollen.

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Spannungen wegen der europäischen Ein- und Durchreisepolitik zeichnen sich jetzt auch zwischen den Regierungen in Madrid und Rabat ab. Ab 1. März dürfen Bürger nordafrikanischer Staaten nur noch mit Visum nach Spanien, verfügte die dortige sozialistische Regierung in Abstimmung mit der EG. Das betrifft nicht nur jährlich mehrere Hunderttausende Marokkaner, die Spanien auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen in Frankreich, Belgien, der BRD und der Schweiz durchqueren — sondern auch Marokkaner in ihrem eigenen Land. Am Nordrand Marokkos unterhält Spanien mit den beiden Städten Ceuta und Melilla noch zwei koloniale Exklaven, wo der Handel blüht. Nach der neuen Regelung müssen Marokkaner auch für die Fahrt in diese Städte Visa beantragen. dora