Keine Gnade für das Opfer

■ Gericht will mißbrauchtes Mädchen zwangsvorführen

Berlin (taz) — Im Prozeß gegen einen 39jährigen Mann, der sich vor der Jugendschutzkammer des Dortmunder Landgerichts wegen sexuellen Mißbrauchs an 38 Mädchen verantworten muß, will das Gericht ein zehnjähriges Mädchen zwangsvorführen lassen. Gegebenenfalls soll von der Maßnahme abgesehen werden, wenn die Eltern mit einem ärztlichen Gutachten eine Gesundheitsgefährdung ihrer Tochter durch die Vernehmung nachweisen können. Bei dem Termin in der vergangenen Woche hatten die Eltern sich geweigert, ihr Kind vor Gericht erscheinen zu lassen. Die Mutter hatte berichtet, ihre Tochter — die als damals sechsjährige von dem Angeklagten mißbraucht worden war — habe noch monatelang nach der Tat an schweren Störungen gelitten. Es sei ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß „mein Kind keinen weiteren Schaden nimmt“. Dies hatte das Gericht nicht als Entschuldigung für das Fernbleiben akzeptiert. Wie der Vorsitzende Richter von Hatzfeld gegenüber der taz erklärte, sei das „wie bei jedem anderen erwachsenen Zeugen“. Auch das ärztliche Gutachten müsse inhaltlich geprüft werden.

An die Mädchen hatte sich der Angeklagte mit der Behauptung herangemacht, er sei Polizist und müsse sie wegen Verkehrsdelikten anzeigen. Nur wenn sie mit ihm „spielen“ ginge, könnte sie einer Bestrafung entgehen. Bei mehreren seiner Opfer stellten ÄrztInnen später Scheiden- und Dammrisse fest. Das Gericht hatte bei neun Mädchen die Vernehmung angeordnet, um zu klären, ob dem Angeklagten schwere Fälle von Mißbrauch zu Last gelegt werden können. Die Mädchen hatten von sexuellen Handlungen berichtet, die der Angeklagte in seinem Geständnis bestritt.

Bei Angehörigen der nordrhein- westfälischen Landesregierung hat die Entscheidung des Gerichts unterdessen heftige Kritik hervorgerufen. Sozialminister Hermann Heinemann bezeichnete die Anordnung zur Zwangsvorführung als „unerträglich“. lu