Professor Prediger und die Maulwürfe

Eine Fülle von Ungereimtheiten im Strafprozeß zu dem Attentat auf den militanten Moslemführer el-Attar/ Staatsschutz lieferte mysteriöse Indizien  ■ Aus Aachen Bernd Müllender

Schon die richtige Berufsbezeichnung zu finden, fiel dem Gericht schwer und war symbolisch für den gesamten Verlauf des Prozesses. Issam el-Attar, heute dreiundsechzig, lebt seit 1969 in Aachen und war zumindest früher Führer der militanten syrischen Moslembrüder. Er wollte lieber Schriftsteller genannt werden als Exilpolitiker. Sein Anwalt plädierte für „ehrenhaften Religionswissenschaftler“.

Der heutige Leiter des Islamischen Zentrums Aachen (IZA) wehrte sich gegen jeden Zusammenhang mit den Bruderschaften. Angefangen habe er als Lehrer, erzählte el-Attar dem Gericht, und einst habe er philosophische Vorlesungen an der Universität Damaskus gehalten. Welche Professur er habe, fragte der Richter. „Nein, kein Professor“, war die Antwort des Mannes, der sich vom Islamischen Zentrum offiziell immer als Professor el-Attar bezeichnen läßt. Endlich diktierte der Vorsitzende Richter ins Protokoll: „Beruf: Lehrer und Prediger“.

Issam el-Attar steht nur als Zeuge (und Nebenkläger) vor Gericht und ist dennoch die Hauptperson. Über seine Person und Glaubwürdigkeit haben sich seit dem Sommer heftige Debatten entzündet. Das IZA will, aus dubiosen Geldquellen gespeist, eines der größten westeuropäischen Moscheezentren bauen — vorgeblich nur zur Lobpreisung Allahs. Das sagt das Islamische Zentrum Aachen und das glaubt die SPD. Die Grünen und die Christdemokraten dagegen befürchten, dort werde eine gewaltbereite Politik mit dem Ziel des Umsturzes in Syrien gepredigt.

Angeklagter in dem Strafprozeß ist der fünfunddreißigjährige syrische Seemann Saad A., der im März des Jahres 1981 zusammen mit zwei nicht gefaßten Komplizen die Ehefrau el-Attars in deren Wohnung überfallen und erschossen haben soll. Der Anschlag, daran zweifelt niemand, galt dem Gatten, der sich damals zufällig außer Haus befand. Issam el-Attar und viele andere beharren bis heute darauf, der syrische Geheimdienst stecke hinter dem Attentat, das einen der führenden Köpfe gegen das verhaßte Regime Assad beseitigen sollte.

Zweierlei prägt diesen Prozeß, dessen Beweisaufnahme jetzt abgeschlossen wurde: Welche Erkenntnisse bringen die Aussagen des umstrittenen Issam el-Attar als Gallionsfigur eines fanatischen arabischen Geheimbundes? Und: Wie werden Geheimdiensterkenntnisse über die mögliche Tat eines anderen Geheimdienstes vor einem öffentlichen Gericht verhandelt? Saad A.s Verteidiger Wolfram Strauch wirft dem damaligen Leiter der Mordkommission „viele Schlampereien“ bei der Spurensicherung vor. Tatsächlich wurden einige Indizien nicht weiterverfolgt. „Der Fall war über die Medien so bekannt — wenn sich da jemand als weiterer Zeuge melden wollte, dann hätte er das getan“, war die erstaunlich einfache Rechtfertigung des Kriminalisten.

Warum nur in eine Richtung recherchiert wurde, machen die Hintergründe deutlich. Ein Polizeikollege aus Hamburg hatte, angeblich aufgrund einer Phantombildfahndung im Fernsehen, kurz nach der Tat Paßfotos von Saad A. nach Aachen geschickt. Zeugen sagten, daß er es gewesen sein könnte. Sicher aber war niemand. Woher hatte der Beamte das Bild? Aus einem Reedereibuch. Wie kam er darauf und wie daran? „Der war doch vom Staatsschutz“, erklärte der gutgläubige Aachener Polizeileiter, „über genauere Herkunft der Erkenntnisse weiß ich nichts Exaktes.“ Was der Geheimdienst feststellte, betrachtete der Beamte offensichtlich als Evangelium. Nur ist es nicht so öffentlich. „Wer weiß schon, welcher Maulwurf was weiß?“ fragte Verteidiger Strauch den schulterzuckenden Richter.

Nebelschwaden allüberall: Zeugenaussagen sind verschwommen, Indizien der Anklagebehörde vage und von manchmal unbekannter Herkunft, und das Deutsch der Araber gerät ins Stocken, sobald es brisant wird. Aachens politische Polizei wird als Erkenntnisquelle genutzt, aber warum der Personenschutz für el-Attar am Tag der Tat ausgesetzt wurde, hat selbst der Leiter des 14. Kommissariats vergessen.

Beweise für die Tatbeteiligung von Saad A. gibt es nicht. Zeugen haben vieles vergessen — nach über neun Jahren scheint das verständlich. Polizeibeamte haben sich „keine Gedanken gemacht“, können keine Angaben machen oder verweisen kühl darauf, daß da das BKA und Geheimdienststellen weiterermittelt hätten. Und wenn, dann hat die deutsche Polizei so gearbeitet: Als der Tatverdächtige 1989 in Italien gefaßt und später nach Deutschland überstellt worden war, wurden bei der versuchten Identifizierung durch Zeugen vier deutsche Polizeibeamte neben ihn gestellt. Das sei das gleiche, so der erboste Verteidiger, als ob man „einen Schwarzafrikaner zwischen Schneemänner stellt“.

Immerhin konnte der Leiter der Mordkommission Neues über el-Attar mitteilen: Der habe sich in einer ersten Vernehmung 1981 als „Liebling des syrischen Volkes“ bezeichnet. Als aktuellen Führer der Moslembrüder habe ihn damals der Kollege vom 14. Kommissariat bezeichnet. El-Attar galt als attentatsgefährdet und stand seit zwei Jahren unter Polizeischutz. El-Attar aber beteuert, schon seit über zwanzig Jahren mit den Gotteskämpfern nichts mehr zu tun zu haben. Wie er es sich dann erkläre, daß er dennoch liquidiert werden sollte? Das müsse „an der Gewohnheit“ seiner einstigen politischen Gegner gelegen haben, ihren „alten Erinnerungen“.

Rechtsanwalt Strauch, der für seinen Mandanten einen Freispruch mangels Beweisen erwirken will, faßt das Verfahren ganz gezielt „als politischen Prozeß“ auf. Zum Abschluß der Beweisaufnahme legte er dem Gericht drei Flugblätter beziehungsweise Zeitschriftenartikel aus dem Sommer 1980 vor, die als Unterzeichnenden einen Issam el-Attar, Führer der syrischen Moslembrüder, ausweisen. Darin wird das syrische Volk aufgefordert, Assads „sektiererische, verbrecherische Agentendiktatur“ zu beseitigen. Wenn Attar aber noch 1980 Bruderschaftschef war, und das glaubt sogar die Staatsanwaltschaft, dann lügt er fortwährend und trägt die Verantwortung für das Massaker von Aleppo, wo im Jahr 1979 mindestens einhundert syrische Offiziersanwärter von Moslembrüdern niedergemetzelt wurden. Doch nicht nur das: 1983 ging bei der Aachener Polizei ein Schreiben des Düsseldorfer Innenministeriums ein mit neuen Erkenntnissen über Saad A. Als deren Quelle wurde pikanterweise das Islamische Zentrum Aachen selbst angegeben. Diese Hinweise des IZA aber stammen aus einer Zeit, als offiziell noch niemand den Namen des Angeklagten kennen konnte. Bei den Moslembrüdern scheint es mehr Informationen zu geben als bislang zugegeben, meinte Anwalt Strauch und interpretierte die Connection als „quasi konspirative Zusammenarbeit zwischen Staatsschutz und Islamischem Zentrum“.

Bis hin zum Generalstaatsanwalt in Köln wurde dem Verteidiger vor Eröffnung des Verfahrens jede Akteneinsicht verweigert. Begründung: Gefährdung der syrischen Zeugen durch den syrischen Geheimdienst. El-Attars Anwälte aber bekamen Akteneinsicht.

Offizielle Geheimdienstschnüffeleien und das merkwürdige Untergrundwirken des Islamischen Zentrums Aachen — damit waren die beiden Themen dieses Strafprozesses dann endgültig auf einen Nenner gebracht. Für den heutigen Donnerstag werden die Plädoyers erwartet, für Freitag der Urteilsspruch.

Für el-Attar und sein Islamisches Zentrum kommt der Mordprozeß zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Denn schon im Januar des nächsten Jahres will der Aachener Stadtrat entscheiden, ob das offenbar nach wie vor den militanten Gotteskämpfern nahestehende Islamische Zentrum seinen mehreren Millionen D- Mark teuren Moschee- und Schulungskomplex in Aachen bauen darf.