Spion beim 'Spiegel‘? Kein feiner Zug!

Warum sollte dem hehren Berufsstand der Journalisten auch erspart bleiben, was an jedem anständigen Bundeskanzleramt nicht vorbeigeht: so ein richtiger, waschechter Topspion, gewieft bis zum letzten Nadelstreifen. In diesem Falle — wennschon dennschon — an vorderster Front, bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin. Peinlich für die Zunft? Nun ja, aber ein Skandal? Nehmen wir mal an, daß es stimmt: daß dieser jahrelang bewährte, saubere 'Spiegel‘-Schreiber mit der Stasi herumgeschmuddelt hat, daß er tatsächliche oder aufgeplusterte militärische Geheimnisse (und um nichts anderes geht es bisher), brühwarm an Gewährsleute in der DDR weitergetratscht hat und dafür nicht nur mit Orden belohnt wurde. Zugegeben, kein feiner Zug, heimlich für einen zweiten Arbeitgeber tätig zu sein. Aber ganz nüchtern betrachtet: Was ist dagegen zu sagen, wenn sich die Rüstungsstrategen mit Hilfe mehr oder minder geschickter Agenten die Geheimnisse über ihre Technologien und Taktiken gegenseitig aus den Schubladen ziehen? Warum einen Tornado doppelt entwickeln, wenn er in einem Staat schon einmal existiert, warum ein Radarsystem zweifach austüfteln, warum nicht Kriege dadurch verhindern, daß alle wissen, wo der Gegner seine geheimen Bunker hat und alle wissen, daß es der andere weiß? Im Grunde genommen also eine ebenso verdienstvolle wie friedenssichernde Aufgabe, die der Doppelfunktionär vom 'Spiegel‘ da jahrelang als Topspion wahrgenommen hat. Nicht zuletzt hat er dem ohnehin bankrotten DDR-System einige zusätzliche Rüstungsausgaben gespart. Und wer für die hinterlassenen Schulden jetzt aufkommen müßte, na das wissen wir doch alle!

Nur eines gibt doch zu denken: Daß keinem aufgefallen war, was der Herr da im Geheimen trieb, gehört zur Professionalität eines guten Spions. Nur daß es heutzutage zur selbstverständlichen Professionalität eines guten Journalisten zu gehören scheint, daß er mit dem zuständigen Verteidigungsminister per Du ist und die Urlaube mit ihm verbringt, das lag ja völlig offen. Einem Politiker den Rücken mit Sonnenöl einzureiben — das stärkt nicht nur manch persönliche Bande, sondern sichert zweifellos heiße News und — wie im vorliegenden Fall geschehen — Exclusivflüge im brandneuen „Tornadao“. Nur ob das der journalistischen Wahrheitsfindung dient? Vera Gaserow