CDU-Atompolitik „explodiert“

Im hessischen Hanau flog in der Nacht zum Mittwoch ein Abgaswäscher der Siemens-Brennelementefabrik in die Luft/ Drei Mitarbeiter wurden verletzt und radioaktiv verseucht  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Nur drei Monate nach Erteilung der „abschließenden atomrechtlichen Genehmigung“ für den Betriebsteil Uranverarbeitung der Siemens- Brennelementefabrik durch den hessischen Umweltminister Karlheinz Weimar (CDU) ereignete sich im Bereich Chemiebetrieb der Hanauer Atomfabrik ein folgenschwerer Unfall. Bei der Explosion eines Abgaswäschers für die sogenannte Reststoffbehandlung wurden drei Mitarbeiter verletzt und radioaktiv verseucht. Nach Angaben von Siemens- Pressesprecher Rainer Jend sei es allerdings außerhalb der betroffenen Produktionshalle nicht zu einer Freisetzung von Radioaktivität gekommen. Welche radioaktiven Stoffe bei der Explosion im einzelnen freigesetzt wurden, konnte Jend dagegen gestern noch nicht mitteilen. Offen blieb auch, ob die Arbeiter bei dem Unfall „nur“ äußerlich kontaminiert wurden oder ob es zu einer lebensbedrohenden Inkorporation der Nukleide kam. Nur Minuten nach der Explosion seien die Betroffenen in Begleitung eines Strahlenschutzexperten in ein Hanauer Krankenhaus gebracht worden. Dort konnten allerdings nur die sichtbaren Verletzungen der Arbeiter behandelt werden. Ein schwerverletzter Siemens-Mitarbeiter sei noch in der Nacht operiert worden. Ob die verseuchten Arbeiter zur Untersuchung einer möglichen Inkorporation radioaktiven Materials in das Kernforschungszentrum in Karlsruhe verbracht werden, stand gestern gleichfalls noch nicht fest. Einheiten der Werksfeuerwehr und der Hanauer Feuerwehr seien kurz nach dem Unfall umgehend an Ort und Stelle gewesen und hätten Radioaktivitätsmessungen in der Umgebung des Werkes durchgeführt — mit negativem Ergebnis. Für die Initiative Umweltschutz Hanau (IUH) und den Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (IUH) stellte deren Atomexperte Eduard Bernhard allerdings die Qualität der vorgenommenen Messungen in Frage: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Hanauer Feuerwehr in dieser kurzen Zeit Luft-, Boden- und Schneewassermessungen durchführen konnte. Bis jetzt liegen noch nicht einmal Meßergebnisse über den Umfang der radioaktiven Verseuchung in der Produktionshalle vor.“ Die Umweltschützer um Bernhard haben noch gestern Strafanzeigen gegen das verantwortliche Management der Siemens- Brennelementefabrik und gegen Umweltminister Weimar erstattet. Den Managern der Atomfabrik werfen IHU und BBU vor, die Anlage „schlampig betrieben“ und so die Bestimmungen des Atom- und des Strahlenschutzgesetzes verletzt zu haben. Und auch der CDU-Umweltminister habe bei der Erteilung der „abschließenden Genehmigung“ für die Brennelementefabrik gegen die Vorschriften des Atomgesetzes verstoßen. Bernhard: „Weimar hat die Anlage genehmigt, ohne die gesetzlich vorgeschriebene Endprüfung der Um- und Einbauten in der ehemaligen RBU-Brennelementefabrik durchführen zu lassen. Aufgrund der Strafanzeigen der Umweltschützer hat die Staatsanwaltschaft Hanau die Kriminalpolizei gestern angewiesen, den „Tatort“ weiträumig abzusperren. Noch in den Nachmittagsstunden nahmen die Staatsanwälte auf dem Betriebsgelände die Ermittlungsarbeit auf.

Die Grünen im hessischen Landtag haben gestern eine Sondersitzung des Umweltausschusses zum Thema gefordert. Ex-Umweltminister Fischer verwies darauf, daß es erst am vergangenen Wochenende im Siemens-Brennelementewerk zu einem „Eilt“-Störfall gekommen sei. Ohne daß es vor Ort von einem Mitarbeiter bemerkt wurde, war sieben Stunden lang die Lüftungsanlage in der Produktionshalle ausgefallen. Nach dem zweiten Störfall in nur einer Woche stehe fest, daß die erst vor kurzem in Betrieb genommene Anlage „weder technisch ausgereift noch so sicher ist, wie von Weimar immer behauptet wurde“. Fischer: „Es zeigt sich jetzt deutlich, warum die Hanauer Atombetriebe noch kurz vor der Hessenwahl mit juristisch fragwürdigen Mitteln im Schnellverfahren genehmigt werden mußten. Weimar ging es nicht um die Sicherheit der Bevölkerung, sondern nur um das Wohlergehen der Firma Siemens.“ Weimar selbst scheint inzwischen kalte Füße bekommen zu haben. Nach einer Krisensitzung ordnete der Umweltminister gestern nachmittag die Stillegung der gesamten Brennelementefabrik an — bis zur Klärung der Unfallursachen. Den durch die Explosion entstandenen materiellen Schaden gab Siemens-Sprecher Jend mit „mehreren hunderttausend Mark“ an. Auf dem Betriebsgelände tummelten sich bis zum Abend Experten des TÜV, der Genehmigungsbehörde und des Bundesamtes für Strahlenschutz. Möglicherweise, so eine erste „vorsichtige Analyse“ von Siemens, sei der Ausfall einer Baugruppe in der elektronischen Steuerung des Abgaswäschers für das Explosionsunglück verantwortlich.