Schaum über den letzten Zyniker

■ Chandlers Briefe kommentiert und gelesen

Literatur zu übersetzen ist wahrlich ein Scheißjob. Übersetzer gehören nicht nur zu den schlechtbezahltesten Lakaien des Literaturbetriebs, ja, nicht mal der mit Geld nicht aufzuwiegende Ruhm ist diesen Menschen vergönnt. Um aus dem Schatten der übersetzten Autoren zu treten, bedarf es schon eines Schaumschlägers, pardon, Wollschlägers. Hans im Glück, der preisgekrönte Ulysses-Übersetzer und Arno- Schmidt-Schüler und -freund, ernannte sich selbst nach Schmidts Tod kurzerhand zum »verantwortlichen Statthalter der Sprache in Deutschland« (Wollschläger über Wollschläger, Tintenfaß 2/81) und wütet als solcher querbeet, auch als Autor, Rezitator und Herausgeber durch die von eigenen Gnaden abgesteckten Gebiete der Weltliteratur, von Karl Kraus bis Karl May.

Viel Aufsehen erregten — zweifellos zu Recht — seine Verdienste um James Joyce, weniger bekannt sind die um den Kriminalschriftsteller Raymond Chandler, von dem Hans Wollschläger zahlreiche Kurzgeschichten sowie den Roman »Der lange Abschied« übersetzte. Chandlers Briefe hat er nicht nur ins Deutsche übertragen, sondern er wird sie auch vorlesen, anläßlich einer vom Chandler-Biografen Frank MacShane zusammengestellten, neu erschienenen Ausgabe.

Chandler, der geistige Vater des Philip Marlowe, zeigt sich als homme de lettre jenseits aller melancholischen Romantizismen sarkastisch, bisweilen zynisch. Gnadenlos sind seine Urteile über Arbeit und Werk von Kollegen, scharfsinnig die Beobachtungen der kommerziellen Auswüchse des Literaturbetriebs, vernichtend seine Ansichten über die Filmindustrie, als deren Sklave sich Chandler einige Jahre verdingte. AnnS

Frank Mac Shane (Hrsg.): Raymond Chandler. Briefe 1937-1959, 540 Seiten, geb. Albrecht Knaus Verlag.

Hans Wollschläger liest heute ab 20 Uhr im Literaturhaus Fasanenstraße