Die gemütliche Blinkrosette

■ Über die zunehmende Sucht der Großstädter, in der Weihnachtszeit ihre Fenster und Balkone zu »beleuchten« DA LACHT DER LEUCHTKÄFER

Berlin. Alle Jahre wieder werden wir Zeugen desselben Phänomens. Unvermittelt tauchen sie auf, sozusagen über Nacht, schon vor dem 1. Advent sind sie vereinzelt zu sehen. Ist erst eine installiert und erleuchtet rhythmisch die abendliche Winterfinsternis, folgen flugs weitere nach. Eh man sich's versieht, hat sich die festliche Weihnachtsbeleuchtung in zahlreichen Privatfenstern etabliert, Häuserblocks und Straßenzüge messen sich im Wettstreit um das originellste Dekor und die geschlossenste Beleuchtung der Balkone.

Da gibt es einfache Lichterketten, auf tausenderlei Art und Weise gespannt, vielfarbige Tannenbäume, die ihre Weihnachtsbotschaft in die Welt hinausblinken, Rosetten und bunte Lichttupfer. Auch von innen beleuchtete Weihnachtsmännerköpfe aus Kunststoff erfreuen sich steigender Beliebtheit. Die Inkubationszeit endet kurz nach dem ersten Adventssonntag, wer jetzt noch nicht infiziert ist, den packt es nicht mehr, wer bislang den Dekoladen gemieden hat, wird ihn jetzt nicht mehr betreten.

Begonnen hat diese schöne Tradition wohl mit den Kerzen, die die Nachkriegsberliner den gefangenen Angehörigen als Gruß in die Fenster stellten. Dank des technischen Fortschritts durch elektrisches Leuchtgerät ersetzt, hat sich die ehedem stille Geste in den letzten Jahren zum visuellen Spektakel gemausert. In den Fensterhöhlen werden Signale gesetzt, die von Geschmack und Wohlstand der dahinter Hausenden zeugen.

Der Konkurrenzgedanke, ein steter Ankurbler geschäftlicher Umtriebe, ist natürlich mit im Spiel. Wurde im vergangenen Jahr mißmutig der vierfarbige Intervall-Leuchttannenbaum des Nachbarn beäugt, wo man selber nur die einfache Leuchtkette hatte, ist nun die Blinkrosette mit integriertem Weihnachtsmann angeschafft.

Besonders Verwegene preschen gar mit einer Kombination von beidem vor, wobei man sich fast Sorgen um die gefährdete Nachtruhe der angrenzenden Anwohner machen muß, die vor den lichtorgelartigen Effekten in alpdruckreichen Schlaf flüchten. Dies könnte einmal Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung werden.

Im grauen Einerlei der Großstädte sind diese Lichter kreative Zeichen von sprühender Individualität und erinnern uns gleichzeitig auf rührende Weise an Aktivitäten nach dem Motto »Unser Dorf soll schöner werden«. Das Ergebnis dieser Bemühungen kommt uns allen täglich zugute, wenn wir mit Tüten bepackt aus der City nach Hause schleichen und dringend Ermunterung brauchen. Wo bleibt die Weihnachtsbeleuchtungsbeihilfe von Senat und Bundesregierung? Die private Hand hat bei diesem guten Werk Unterstützung verdient. Unvergessen das Wort aus dem Munde eines praktizierenden Fensterschmückers gegen die winterliche Tristesse Berlins: »Das ist so schön gemütlich, wenn ich mit den Hunden rausgeh'.« Was gibt es da noch hinzuzufügen? Gunda Bartels