»Auch Demokratisierung braucht Zeit«

■ Gespräch mit dem Rektor der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, über die Abwicklungspläne

taz: Ein Grund für das faktische Infragestellen der Autonomie der Humboldt-Universität von seiten des Senats ist, daß sie nicht gründlich genug mit ihrer Vergangenheit abrechnet. Was hat sich in dem verstrichenen Jahr tatsächlich verändert.

Heinrich Fink: Wir hatten uns eigene demokratische Strukturen geschaffen, wie zum Beispiel den Studentenrat. Ein neues Konzil ist zusammengekommen, alle leitenden Positionen wurden neu besetzt. Jetzt wird uns ständig vorgeworfen, wir hätten ein Statut, das nicht dem Berliner Hochschulrahmengesetz entspricht, weil unsere Gremien anders zusammengesetzt sind. Die zweite Phase der Demokratisierung hieß öffentlich machen, was an der Universität los war. Das wurde durch verschiedene Veranstaltungen bei den Philosophen, den Juristen und den Historikern begonnen.

Trotzdem beklagen die Studenten, daß Entscheidungen über die personelle Erneuerung zu lange hinausgeschoben worden sind.

Jetzt in der dritten Phase der Demokratisierung, müssen wir deutlich machen, welche Bereiche nicht mehr gebraucht werden. Zum Beispiel Geschichte der SED oder Geschichte der DDR. Das muß natürlich weiter reflektiert werden, aber im Lehrstuhl Neue Geschichte. Dieser Bereich existiert bereits schon. Den betroffenen Wissenschaftlern muß gekündigt werden. Dabei darf es keinen Etikettenschwindel geben, daß die Leute einfach auf andere Plätze rutschen. Für die freien Stellen wird es keine Hausberufungen geben. Ich bin für eine Durchmischung der Uni.

Wie soll die Neustrukturierung der Uni konkret vonstatten gehen?

Wir schlagen vor, eine zentrale Personalstrukturkommission und entsprechende Kommissionen an den einzelnen Fachbereichen zu bilden. Diese sollen sich aus Vertretern aller Bereiche der Uni und Angehörigen anderer Universitäten zusammensetzen. Die Kommission sollte Vorschläge zur Entwicklung des Fachbereiches und dessen Struktur erarbeiten. Außerdem müßte er Kriterien zur Bewertung der Wissenschaftler hinsichtlich ihrer Lehrtätigkeit, ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer politisch-moralischen Integrität entwickeln.

Was behinderte eine schnellere personelle Erneuerung der Uni?

Hemmnisse waren zum einen Besitzstandswahrung, zum anderen aber auch, daß man nicht wußte, wohin mit den Leuten. Viele konnte ich nicht entlassen. Zum Beispiel die OibEs (Offiziere im besonderen Einsatz) sind vom damaligen Wissenschaftsminister nicht abberufen worden. Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten mir das Recht rausgenommen, diese Leute durch eine Disziplinarkommission zu beurlauben. Bis zum 3. Oktober war das möglich.

Hätten viele Ihrer jetzigen Überlegungen nicht schon vor einigen Monaten kommen müssen?

Da stimme ich Ihnen zu, aber der Demokratisierungswille mußte erst wachsen. Natürlich ist er jetzt durch die Gefahr der Abwicklung auch von außen herangetragen worden. Aber die Abwicklung kann kein Instrument der Humboldt-Uni sein. Das würde bedeuten, Institute und Fachbereiche aufzuheben und alle Arbeitsverhältnisse zu befristen. In der Schrecksekunde, die dann eintritt, wird überlegt, was mit den Einrichtungen und den Leuten geschehen soll.

Genau diese logische Sekunde macht mich mißtrauisch. Wird es danach heißen, die Institute für Philosophie oder Geschichte brauchen wir nicht mehr, die gibt es schon an der FU? Ich erhalte dazu keine Informationen, und ich bin leider in der Zeit als Rektor sehr skeptisch geworden. Gespräch: Anja Baum