Ein Problem der Wahrnehmung

■ betr.: "Absturz und Anfang der Grünen" von Klaus Hartung, taz vom 6.12.90

betr.: „Absturz und Anfang der Grünen“ von Klaus Hartung,

taz vom 6.12.90

[...] Entgegen der Meinung von Klaus Hartung sind die Grünen nicht wegen ihrer „Flucht in den Politikverzicht“ abgewählt worden, sondern gerade wegen der Aufgabe originärer grüner Ziele. Immer mehr angepaßt an WählerInnen der SPD ist es kein Wunder, daß viele Menschen, denen an emanzipatorischen Inhalten orientierte Politik noch etwas bedeutet, diesmal den Schritt des Wahlboykotts vorgezogen haben. Andere haben lieber gleich SPD gewählt nach dem Motto: Das Original ist besser als eine Kopie.

Die Forderungen von Klaus Hartung wie die Abschaffung der Rotation, des Verzichts auf die „ausgelutschte Linksideologie“, die Reorganisation der Partei zu einer, die endlich fähig ist zur Tagespolitik“, sind leider verbreitet bei den Grünen. Sie aber in der taz zu lesen bestätigt, daß auch hier emanzipatorische linke Gesellschaftskritik nicht mehr eine Selbstverständlichkeit ist. Der Anfang vom Ende der Grünen war meines Erachtens eingeleitet durch den Sturz des Bundesvorstandes mit Jutta Ditfurth und anderen.

Dies als einer der Meilenschritte auf dem Weg weg von den Inhalten vieler Gruppen der sozialen Bewegungen.

Mensch muß schon alles an Parlamentarismuskritik vergessen, um eine an (destruktiver) Realität orientierte grüne Politik gut zu finden. Und wieso kritisiert Hartung nicht die Geschwindigkeit des Anschlußprozesses der DDR, anstatt den Grünen vorzuwerfen, daß sie ihre Haltung zur Vereinigung Deutschlands nicht von jetzt auf nachher ändern? Die Bedenken der Grünen gegenüber der Einverleibung der DDR waren zu berechtigt, als sie einfach mal kurz in Orientierung am Zeitgeist aufzugeben. Die Geschwindigkeit des Anschlusses hat alle Befürchtungen bestätigt.

Ein Trauerspiel auch, daß Hartung im Mittelteil zweiter Absatz nichts mehr einfällt, woran sich eine außerparlamentarische Bewegung entzünden könnte. Entspringen kann das nur einem Bewußtsein, welches sich mit der gesellschaftlichen Realität angefreundet hat und durch zu große Distanz zu sozialen Bewegungen Schaden genommen hat. Wohnraumspekulation, destruktive Großtechnologie, neue Armut, Ausbeutung von Trikont, Mensch und Umwelt kommen im Denken von Klaus Hartung nicht mehr vor. Er ist nicht mehr in der Lage, über den deutschen Tellerrand hinauszugucken.

Sollen die Grünen noch eine Chance haben, dann nur als — wie mal gedacht — Sprachrohr und Transmissionsriemen der sozialen Bewegungen im Parlament, im Bewußtsein, daß gesellschaftliche Veränderungen noch fast immer von konsequenten, an ihren Analysen und Zielen festhaltenden BürgerInnenbewegungen initiiert wurden. Dies über das Parlament zu unterstützen, ist eine Aufgabe der Grünen, oder sie werden bald noch bedeutungsloser werden. [...] Hinrich Olsen, Oldenburg

[...] Unmittelbar nach der Wahl hatte ich den Eindruck, als wollten die Grünen selbst eine Neuauflage entfesselter Grabenkriege vermeiden, hätten nicht einige Leute um Joschka Fischer es verstanden, binnen kürzester Frist, als andere noch nachdachten, mit äußerst scharfen Waffen verbaler Zuspitzung gegen die Linken in den Grünen per taz-Bericht vom Leder zu ziehen. Ich erwarte aber eher eine sachbezogene Debatte und einen Streit um Inhalte statt verbaler Ausfälle wie den von Klaus Hartung, Jutta Ditfurth als „Kommandeuse des Ökostalinismus“ zu verunglimpfen. Was eigentlich unterscheidet eine solche Wortwahl dann noch von den Jornalisten der Springerpresse, wenn sich jemand zu einer solchen Beleidigung hinreißen läßt?

Wer Jutta Ditfurth kennt und ihre Bücher gelesen hat, weiß, daß sie für die Idee eines radikalen, basisorientierten, antikapitalistischen Sozialismus eintritt, aber dabei nicht als Kommandeuse auftritt und schon gar keinen Stalinismus anstrebt. Also bitte, wenn Auseinandersetzung, dann bitte inhaltich und nicht mit Verleumdungen, auch wenn sie in einem Kommentar noch so griffig klingen mögen.

Im übrigen bin ich nicht der Meinung, daß sich ausgerechnet diesmal der Strömungspluralismus der Grünen negativ auf den Wahlausgang ausgewirkt hat. Demnach kann es meines Erachtens auch nicht darauf ankommen, daß sich die Grünen von einem Parteiflügel trennen sollen. Die Tatsache, daß Herr Glotz von der SPD dies fordert, spricht eher für die Beibehaltung des Strömungspluralismus. Und in einer Welt, in der gerade die „neumarktwirtschaftlichen“ Länder zum ganz überwiegenden Teil das Versagen des Kapitalismus kennenlernen, wird es auch in der Zukunft darauf ankommen, eine antikapitalistische Kritik gerade in der BRD aufrecht zu erhalten. Die ungerechten Wirtschaftsbeziehungen zwischen den reichen Nord- und den von diesem Norden arm gemachten Ländern sind ja trotz der Kritik nicht zugunsten der Südländer verbessert worden. Der verschwenderische Energieverbrauch auf der Erde, der zum Treibhauseffekt beiträgt, hat ja nicht abgenommen. Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung in der BRD nimmt weiter zu mit einer Tendenz zu steigender Armut. Haben Rüstungsexport und Parteienfilz abgenommen? Wenn Leute daraus dann eine radikale Kritik formulieren und vielleicht auch durch ihre Wortwahl Klaus Hartung und andere langweilen, weil sie es nicht mehr hören können, dann ist das wohl kein Problem inhaltlicher Art, sonder eines der Wahrnehmung. [...] Ulrich Ochs, Gelsenkirchen