Der Panther mit dem Anakondablick

Beim Grand Slam Cup in München schied der Franzose Yannick Noah gegen David Wheaton (USA) aus Das Publikum war entsetzt, weil Noah einer der letzten locker-lässigen Typen im Tenniszirkus ist  ■ Aus München Matti Lieske

Tief geduckt wie ein ausgehungerter Panther lauert Yannick Noah an der Grundlinie den Aufschlägen seines Gegners David Wheaton auf. Wenn diese dann allerdings kommen, sieht es manchmal aus, als leide der Panther unter Rheumatismus. Reihenweise wischt er die Bälle ins Netz oder weit ins Aus. „Sein Aufschlag sah ziemlich gut aus, weil meine Returns eine Katastrophe waren“, findet Noah später zielsicher den Schlüssel zu seiner Niederlage.

Schon als der aus Kamerun stammende 30jährige Franzose noch nicht auf Platz 40 der Weltrangliste abgerutscht war, sagte Boris Becker ihm nach, daß er über die miserabelsten Grundschläge aller Top-Ten- Spieler verfüge. Er gewinne bloß, weil er seine Kontrahenten durch seine imposante Erscheinung einschüchtere.

Daran hat sich nichts geändert. Wenn der 1,93 Meter große Hüne nach vorne stürmt, sich mächtig wie ein Haus am Netz aufbaut und den armen Wicht auf der anderen Seite mit Anaconda-Blick fixiert, scheint sein Schläger alle Passierschläge zauberisch anzuziehen. Ganz tief, fast auf den Knien rutschend, nimmt er die Volleys, wenn es sein muß, hechtet er den Bällen geschmeidig hinterher, ist aber blitzschnell wieder auf den Füßen, um einen sammetweichen Stopp oder einen rambohaften Smash folgen zu lassen. Genial ist Noah vor allem, wenn es kompliziert wird: etwa, wenn Wheaton, der 191-Zentimeter-Schlaks aus Minnesota, selbst ans Netz kommt, und Noah den Ball mit einem kurzen Zucken des Handgelenks genau außerhalb seiner Reichweite über ihn hinüber lobbt.

Yannick Noah hat nichts von seiner alten Magie, die ihn 1986 sogar bis auf Platz 3 der Weltrangliste klettern ließ, eingebüßt, und wenn er den Platz betritt, so ist auch bei einem bisher eher mediokren Turnier wie diesem Grand Slam Cup großes Schauspiel angesagt. Es ist, als betrete mitten in einer Aufführung des Ohnsorg-Theaters plötzlich Eleonora Duse die Bühne. Das Publikum liebt ihn von Herzen und wird reich belohnt. Yannick Noah ist einer der wenigen Profis, denen das Tennisspielen noch Spaß zu machen scheint. Er lacht, scherzt, schimpft, jongliert mit dem Schläger, spielt stets den spektakulärsten Ball, und gäbe es beim Tennis Eckfahnen, würde er sicher von Zeit zu Zeit den Jubeltanz seines kickenden Landsmannes Roger Milla aufführen.

Im Match gegen Wheaton fieberten die Zuschauer von Anfang an mit Noah, dessen Aufschlagspiele meist wahre Martyrien waren, während der Amerikaner sein Service in der Regel leicht gewann. Das einzige Break des Matches zum 5:3 im dritten Satz entschied zugunsten Wheatons, nachdem Noah zuvor den ersten Tie-break verloren, den zweiten gewonnen hatte. Die ganze Zeit habe er nicht an das viele Geld gedacht, gestand der 21jährige David Wheaton später, aber als er zum Sieg aufschlug, sei ihm eingefallen, daß es nun um 200.000 Dollar gehe: „Ich habe gezittert, aber irgendwie kam ich durch.“ Der junge Mann darf nun gegen Lendl spielen und kassiert in jedem Fall 300.000 Dollar, Noah darf die 100.000 Dollar für den Erstrundenverlierer einsäckeln.

So bunt, wie Noah die Asse und Doppelfehler durcheinanderwürfelt, so bunt gestaltet er auch sein Leben. Von seinem Trainer Dennis Ralston, der ihm im letzten Jahr neue Motivation einflößte, hat er sich ebenso bereits wieder getrennt wie von Erica Wollweber, Fotomodell aus Los Angeles und Ex-Freundin von Prince, mit der er eigentlich die Welt umsegeln wollte. Statt dessen möchte er weiter Tennis spielen, von seinem angekündigten Abschied ist keine Rede mehr. Vor einigen Tagen ließ er sich zum Kapitän des französischen Davis-Cup-Teams küren.

Auf die Australian Open, bei den er 1990 das Halbfinale erreichte, will Noah allerdings verzichten. „Ich brauche erstmal Urlaub, zwei Monate mindestens.“ Seine nächsten großen Ziele sind die French Open und selbstredend der Davis Cup. „Ich bin der Chef, also stelle ich die Mannschaft auf, also bin ich auf jeden Fall drin“, grinst er süffisant. Ob er denn in Wimbledon, bei dem Turnier, das er haßt wie kaum ein anderer, starten werde, fragt jemand. „Machen Sie Witze“, antwortet Noah, um dann nach kurzer Pause hinzuzufügen: „Vielleicht spiele ich ja Doppel mit Agassi.“

Brad Gilbert — Jonas Svensson 6:2, 3:6, 4:6; Ivan Lendl — Christian Bergström 6:4, 6:0, Aaron Krickstein — Andres Gomez 6:3, 6:4.