: Nur 3.000 sowjetische Juden jährlich in die BRD?
Die Innenministerkonferenz der Länder berät heute „über die Aufnahme jüdischer Emigranten aus der UdSSR“ ■ Von Götz Aly
Heute beginnt in Dresden eine zweitägige Sitzung der ständigen Konferenz der Landesinnenminister. Den Vorsitz führt turnusgemäß der baden-württembergische Innenminister Dietmar Schlee. Die neuerdings 16 Minister beraten unter anderem über „die Aufnahme jüdischer Emigranten aus der UdSSR“. Als Stellvertreter Schäubles verschickte Staatssekretär Hans Neusel dazu am 19.November per Fernschreiben eine Beschlußvorlage, an Hand derer die Kriterien für die Aufnahme sowjetischer Juden festgeschrieben werden sollen.
Zunächst sollen die Minister heute ein Jahreskontingent festlegen: Offensichtlich um Neusels Vorschlag föderativ zu adeln, brachte nicht das Bonner sondern das Stuttgarter Innenministerium, die in Bonn ausgeheckten Zahlen öffentlich ins Gespräch — 1.000 bis höchstens 3.000 jüdische Emigranten sollen jährlich in der Bundesrepublik aufgenommen werden.
Vielleicht wird das Kontingent noch etwas aufgestockt, vielleicht wird dies dann als humanitäre Großtat verkauft, in jedem Fall gilt für die jüdischen Familien, die über das festgelegte Kontingent hinaus nach Deutschland kommen, nach den Worten des Neusels folgendes: „Außerhalb der Kontingentaufnahme finden auch auf diesen Personenkreis die allgemeinen ausländerrechtlichen und asylrechtlichen Regelungen uneingeschränkt Anwendung.“
Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, lehnte eine derartige Quotierung öffentlich als unannehmbar ab und verwies auf die schätzungsweise 60.000 ausreisewilligen russischen Juden.
Die strikte und äußerst restriktive Kontingentierung ist aber nur die eine Seite der Beschlußvorlage Neusels, der diese ausdrücklich als Stellvertreter Schäubles unterschrieb. In aller Klarheit formuliert das Bonner Innenministerium Selektionskriterien für die sowjetischen Juden und Jüdinnen, die aufgenommen und für die, die zurückgewiesen werden sollen. Neusel wörtlich:
„Im Rahmen des Möglichen sollten (...) bevorzugt Personen aufgenommen werden, die dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehören oder nahestehen, über familiäre Bindungen zum Bundesgebiet verfügen, aufgrund ihres Alters und ihrer beruflichen Qualifikation sowohl eine berufliche Eingliederung als auch eine dauerhafte Stärkung des jüdischen Gemeindelebens erwarten lassen.“
Es geht also um Deutsch sprechende, beruflich überdurchschnittlich qualifizierte, möglichst junge und leistungsfähige jüdische Immigranten. Galinski fühlt sich durch Neusels Vorschlag an die Rampe in Birkenau erinnert: „Eine glatte Selektion wie die, unter der ich als ehemaliger Auschwitzer einmal gelitten habe.“ Vorgestellt hatten sich Neusel und Schäuble das Echo so ganz anders. Schließlich führt das Innenministerium zur Begründung seiner restriktiv-selektiven Beschlußvorlage an: „Die Aufnahme der jüdischen Emigranten soll die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft stärken, auch im Sinne eines Brückenschlags zwischen Deutschen und Juden.“ Dazu sollte über die Aufnahme konkreter Menschen „in enger Zusammenarbeit“ mit den jüdischen Gemeinden „entschieden werden“.
„Die organisatorische Durchführung eines solchen Aufnahemprogramms“ kann nach Neusels Meinung „erfolgreich nur unter Einschaltung des Zentralrates“ gelingen und nur dann, wenn sie „vor allem unter den Gesichtspunkten der Integrationsfähigkeit erfolgt“. Aus diesem Grund hielt es Neusel auch „für ratsam, alsbald ein Gespräch mit Herrn Galinski zu führen“. Es sollte vor dem heutigen Innenministertreffen stattfinden und mit Hilfe „einer vorbereitenden Problemerörterung“ etwas deutlich werden lassen, was Neusel „speziell zu lösende Detailfragen“ nennt.
Das Gespräch hat inzwischen stattgefunden. Einzelheiten dazu teilt der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht mit. Allerdings sagt Heinz Galinski: „Ich weiß nicht, zu welchem Ergebnis die Konferenz der Innenminister kommt. Ich weiß nur eines: Es wird kein gutes.“
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