Europa in der Hand von ein paar Ministern

Die geplante politische Union entmachtet nationale Parlamente und das Europaparlament/ Regierungschefs uneinig über Währungs- und Wirtschaftsunion/ Einheitliche Währung oder Parallelwährungen/ Ängste vor Verlust der Souveränität  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Der Kreis schließt sich auf historischem Terrain. 1951 schworen die EG-Staats- und Regierungschefs am Tiber, die nationalen Streitigkeiten, die Europa mehrfach in mörderische Kriege verstrickt hatten, ein für allemal zu beerdigen: Sie gründeten die Europäische Gemeinschaft, die damals noch Montanunion für Kohle und Stahl hieß. Aus den anfänglichen sechs sind zwölf Mitglieder geworden, ein weiteres halbes Dutzend wartet ungeduldig auf Einlaß. Zuvor wollen die Euro-Lenker jedoch ihr Haus in Ordnung bringen. Dazu werden sie auf zwei Regierungskonferenzen am Samstag in Rom den für Ende 1992 angestrebten gemeinsamen Binnenmarkt mit einer politischen Union und einer Wirtschafts- und Währungsunion schmücken.

Rechtzeitig für das historische Ereignis hat die EG-Kommission am Mittwoch den Entwurf eines völlig neuen Vertragswerkes vorgelegt — die Römischen Verträge II. Wesentlich konkreter ausgearbeitet ist allerdings bereits die Wirtschafts- und Währungsunion. Ab 1994 soll es eine europäische Zentralbank geben, die eine gemeinsame Währung herausgibt. Gegen die damit verbundene weitgehende Abgabe der Souveränität sperren sich der neue britische Premier Major und Frankreichs Mitterrand, aber auch der CDU/ CSU Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger.

Dregger erklärte gestern in Bonn, daß eine „Preisgabe der Souveränität der Währung nur dann zu verantworten“ ist, wenn „die Sicherheit der Partner im Rahmen einer politischen Union Europas gewährleistet ist“. Major strebt für eine Übergangszeit ein Nebeneinander der nationalen und der europäischen Währung an. Mitterrand dagegen will zur politischen Kontrolle der nach bundesdeutschem Vorbild unabhängigen Europäischen Zentralbank eine „Wirtschaftsregierung“ der EG-Finanzminister einführen.

Nicht nur die Frage der „Unabhängigkeit“ des künftigen Zentralbankrats ist noch umstritten. Es geht auch darum, ob die Finanzminister den Euro-Bankern bei der Festlegung des Wechselkurses zwischen ECU und den wichtigsten anderen Währungen, dem US-Dollar und dem japanischen Yen, „politische“ Vorgaben machen können sollen.

Die politische Union blendeten die Kommissare bei ihrem Vertragsentwurf vorerst aus, weil ihnen das von den persönlichen Referenten der Außenminister ausgearbeitete Modell für den politischen Überbau der zukünftigen Großmacht nicht in den Kram paßt. Denn die Euro-Chefs planen das Aus auch für das traditionelle Demokratiemodell bürgerlichen Zuschnitts.

Bereits jetzt regieren die Minister der Mitgliedsländer praktisch unumschränkt. Denn was die Ministerräte als oberstes Gremien der Gemeinschaft in Brüssel oder Luxemburg beschließen, ist EG-weit Gesetz. Die Europaparlamentarier haben dabei nur geringfügige Mitspracherechte. Und die nationalen Parlamente werden durch die Verlagerung des Gesetzgebungsprozesses nach Brüssel immer weiter entmachtet. Gibt es bei der Umsetzung des EG-Rechts Ärger, was häufig vorkommt, tritt der sonst unscheinbare Europäische Gerichtshof (EuGH) in Aktion. Die von den Mitgliedsländern (in der Bundesrepublik beispielsweise von Bundestag und Bundesrat) für sechs Jahre bestellten Richter entscheiden, was wirklich EG-Recht ist, meistens nach Maßgabe der Binnenmarktförderlichkeit.

Doch weil dieser Entscheidungsprozeß im Vergleich zu dem der Konkurrenten USA und Japan überaus schwerfällig und langwierig ist, drängen die Eurokraten auf Reform. Die Position des Ministerrats soll gegenüber den anderen EG-Gremien — Kommission und Europaparlament — ausgebaut werden. Dazu ließen die zwölf Außenminister eigens ein Konzept für die politische Reform ausarbeiten, das als Grundlage der Diskussion dient. Demnach sollen die Ministertreffen im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) und der Westeuropäischen Union (WEU) stärker in den EG-Entscheidungsprozeß integriert werden. Eine Mehrheit der Regierungen will einen sogenannten Politischen Rat der zwölf Außenminister einrichten — die zukünftige zentrale Entscheidungsinstanz der Gemeinschaft.

Um den Vorbehalten gegenüber einer Abgabe von Souveränität an die Brüsseler EG-Zentrale entgegenzukommen, soll auch in Zukunft Einstimmigkeit im Ministerrat für alle wichtigen Beschlüsse erforderlich sein. Konsequenz: Die „Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners“ wird fortgeführt werden, bei der Länder wie Großbritannien oder Spanien wichtige Entscheidungen bei Umwelt- und sozialen Fragen mit ihrem Veto blockieren können. Zudem wird dem Ministerrat nach den Plänen des Expertenkomitees das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge übertragen, das er sich in Zukunft mit der Kommission teilen soll. Damit wollen die EG-Strategen den Ministerrat in die Lage versetzen, fast völlig losgelöst von EG-Kommission und Europaparlament Gesetze zu initiieren und dann auch zu verabschieden.

Von der Idee des Kommissionspräsidenten Jacques Delors, das bundesdeutsche Föderalismusmodell auf die EG zu übertragen, ist inzwischen nur noch Bundeskanzler Kohl begeistert. Die Kommission sollte nach diesem Konzept zur EG-Regierung aufgewertet werden, während Europaparlament und Ministerrat als Bundestag und Bundesrat mit den entsprechenden Rechten fungierten. Die Nationalsstaaten hätten die Rolle der Bundesländer übernehmen sollen. Wohl wissend, daß dieses Modell bei seinen Kollegen, allen voran bei dem französischen Staatspräsidenten Mitterrand, auf taube Ohren stößt, fordert Kohl lautstark, daß die EuropaparlamentarierInnen im EG- Gesetzgebungsprozeß das letzte Wort erhalten. Diese sind bei der Veranstaltung in Rom jedoch lediglich Zaungäste.