Prag: Mehr Rechte für die beiden Länder

Prag (taz) — Nach monatelangen Verhandlungen ist es vollbracht: Eine eindeutige Mehrheit von rund 90 Prozent der Abgeordneten der tschechoslowakischen Bundesversammlung stimmte am Mittwoch dem sogenannten Kompetenzgesetz zu, das die Vollmachten der beiden Teilrepubliken und der zentralen Regierung im Rahmen der föderativen Ordnung des Landes festlegt. Von nun an ist die Bundesregierung nur noch für die Bereiche Außenpolitik, Währung, Zoll- und Verteidigungsangelegenheiten zuständig, außerdem soll sie die Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung formulieren. Konkrete ökonomische Entscheidungen sowie alle anderen Bereiche der Gesetzgebung fallen in die Zuständigkeit der tschechischen und slowakischen Republik. Das „Kompetenzgesetz“ löst die Bestimmungen aus dem Jahre 1968 ab.

In der vorausgegangenen zweitägigen erbitterten Parlamentsdebatte ging es auch um nationale Minderheiten. Als Reaktion auf das vor kurzem in der Slowakei beschlossene Sprachgesetz, das die Rechte der ungarischen Bevölkerung stark einschränkt, setzte die Christdemokratische Union durch, daß die Angelegenheiten der nationalen Minderheiten nicht dem Verantwortungsbereich der Republiken, sondern dem der Bundesregierung unterstellt werden. In der Auseinandersetzung über die Funktion des Gouverneurs der Staatsbank mußten dagegen die tschechische Seite und die Bundesregierung Federn lassen. Sie hatten sich gegen eine tschechisch-slowakische Rotation in diesem wichtigen Amt ausgesprochen. Entzogen wurde Prag auch die Landwirtschaftspolitik.

Auffallend war, daß die slowakischen Abgeordneten die meisten Änderungsvorschläge ihrer tschechischen Kollegen ablehnten. Bereits am Wochenende hatte die slowakische Regierung damit gedroht, daß sie ihrem Landesrecht Vorrang vor dem Bundesrecht geben würde, falls die Bundesversammlung den Vorschlag zur Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern nicht akzeptierte. Nach der erfolgreichen Abstimmung am Mittwoch zeigte sich der slowakische Ministerpräsident Vladimir Meciar deshalb recht zufrieden.

Eindeutig ablehnend äußerte sich dagegen die Slowakische Nationalpartei. Erneut sei es nicht gelungen, den Grundsatz von der „Vorrangigkeit der Republiken“ im Gesetz zu verankern, ließ sie verlauten. Sabine Herre