Morgen, morgen, nur nicht heute...

...ist das Motto der Koalitionsverhandlungen in Bonn/ Strittige Fragen werden vertagt — aber ganz optimistisch  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — „Wir kommen sehr gut voran“, soll Kanzler Helmut Kohl über die Koalitionsverhandlungen gesagt haben. „Konstruktiv, locker, fröhlich“, findet sie FDP-Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen. Und auch Bayerns Christsoziale mögen alle Gespräche der letzten Tage über die künftige Arbeit der neuen alten Koalition nur loben. Nach Kräften demonstrieren CDU, CSU und FDP derzeit Harmonie. Echt ist die freilich nur zum Teil.

Zwar soll gerade Helmut Kohl — anders als früher — gelassen und gutgelaunt den Runden der Koalitionäre vorsitzen. Dies verwundert freilich nicht. Denn auch wenn seine Partei weniger Stimmen als erwartet eingefahren hat: Er ist unangefochten. Die FDP kann, obwohl sie zwei Prozent zugelegt hat, nur mit ihm regieren. Die CSU ist theoretisch überflüssig — zusammen mit den Liberalen bekommt die Union ihre Kanzlermehrheit. Und auch von den sogenannten Reformern in seiner Partei hat Helmut Kohl in diesen Zeiten nichts zu befürchten. Sie haben sich inzwischen „mit Kohl arrangiert“, sagt ein enttäuschter ehemaliger Mitstreiter des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler.

Harmonischer als früher geht es in den Koalitionsverhandlungen freilich noch aus einem anderen Grund zu. „Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen allen drei Partnern sind sehr groß“, formuliert man ihn in Unionskreisen. Dies hänge wiederum mit der Entwicklung der FDP zusammen. In dieser Partei seien die Wirtschaftsliberalen „um Lambsdorff und Solms noch stärker als bisher“. Gegenüber den christliberalen Freidemokraten hätten die sozialliberalen nur noch wenig zu sagen. Und mit den rechten Wirtschaftsliberalen um Lambsdorff käme die CDU besser zurecht. Kein Wunder: Ausländer, Asyl, Datenschutz — all dies liegt etwa dem FDP-Grafen in den Koalitionsverhandlungen so wenig am Herzen wie sonst auch.

Daß Helmut Kohls starke Position, die schwache der CSU und die Kräfteverhältnisse in der FDP nicht ausreichen, in einer harmonischen Atmosphäre auch harmonisch zu arbeiten, um zu harmonischen Ergebnissen zu kommen — dies zeichnet sich freilich schon jetzt, nach den ersten Verhandlungen, ab. Morgen, morgen, nur nicht heute: nach diesem Motto scheinen die Bonner KoalitionärInnen mit allen strittigen Themen umzugehen. Das heiß umstrittene Thema Asyl etwa wurde erst mal verschoben. Hier will die FDP festschreiben, daß der Artikel 16 des Grundgesetzes nicht geändert wird. CDU und CSU, die ihn seit langem einschränken möchten, verlangen, daß man sich noch nicht festlegt, bevor die EG-Staaten ihre Beschlüsse zur „Harmonisierung“ gefaßt haben. Tatsächlich setzen die UnionistInnen darauf, später mit der SPD zusammen das Grundgesetz — auch gegen den Willen der Freidemokraten — ändern zu können.

Keine gemeinsame Antwort haben die Experten der Koalition auch auf jene zwischen CDU/CSU und FDP heftig umstrittene Frage gefunden, ob die Polizei Wohnungen verwanzen darf. Zum Thema Paragraph 218 einigte man sich nur in einem Punkt: eine Einigung im Rahmen der Koalitionsgespräche gibt es nicht. Unklar ist weiterhin auch, ob Ostdeutschland zum Niedrigsteuergebiet wird, wie die Freidemokraten dies wollen. Dazu äußerte sich gestern der Kanzler in der ihm eigenen Art: „Wenn man in einer solchen Verhandlung die Dinge so hoch zieht, muß man häufig von einer hohen Leiter wieder runter, deswegen steige ich schon gar nicht drauf.“ Die SPD übt sich dabei in Oppostion und fordert, daß die Koalition ihren Streit über das Niedrigsteuergebiet schnellstens beendet. Und ohne absehbares Ende streiten sich Norbert Blüm auf der einen und die Liberalen auf der anderen Seite darüber, ob man eine gesetzliche Pflegeversicherung einführen soll oder darauf setzt, daß sich die Deutschen, steuerlich begünstigt, freiwillig versichern. Ausgemacht ist schließlich noch immer nicht, wo Theo Waigel jene angepeilten 35 Millionen Mark umschichten und einsparen soll.

Auf all diese Fragen geben die Bonner Koalitionäre sich und der Öffentlichkeit nur ganz vage Antworten. Daß sich dies während der nächsten Verhandlungsrunde Anfang kommender Woche oder der übernächsten zu Beginn des neuen Jahres ändert, ist wenig wahrscheinlich.